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Tagebuch 1924
Wichtige : „Waren gute Musikkräfte ?“ frage er mich. Und ob der Hausherr mitge-
spielt habe. „Warum nicht, wenn er doch musikalisch ist.“ „Der Herr Schönberger hat
sich auch tüchtig geplagt, drei Wochen lang jeden zweiten Tag a Prob gehalten.“
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Heut hab ich mit Kirstein gefrühstückt, sonst muß ich ihn den ganzen Tag nicht
sehen. Dafür morgen.
4.V.1924
Gestern war ich tagsüber im Atelier. Ehrlich plant weitere Bilder mit mir, er empfin-
det die Gefahr dieses mit d. Phantasie umsetzen beim Malen doch stark u. möchte
einmal etwas nur u. nur nach d. Objekt. Bei jenem kommt zu leicht, zu schnell d.
Moment des „Nicht-weiter-könnens !“ Das sind Dinge, die ich auch schon oft durch-
gedacht habe. Wir kommen einander sehr nahe. Ich kann ihn gut verstehen, weil ich
ein gereifter Mensch bin u. mich darum auf ihn einstellen kann u. doch fühl ich nicht
mehr den starken Altersunterschied zwischen uns. Er ging dann fort u. ich sah mir
die Bilder an, die d. Floch aus Triest mitgebracht hat. Besonders ein Segelbild gefiel
mir gut. Ruhe u. Lebendigkeit ausponderiert. Nach d. Frappartstunde holte ich Hans
u. wir gingen.
–
6.V.
In Salome, Festvorstellung Straußwoche, Jeritza war großartig : anfangs hat sie mich
durch ihr böhm[isch-]wienerisches Aussehen u. die abgerissenen („modernen“) Sa-
longesten entsetzt, dann aber eine außerordentliche Steigerung u. sie war hinreißend.
Nach Schluß blieb alles sitzen, d. h. nicht zu den Garderoben, die hintern Reihen
klatschten stehend, d. andern sitzend, bis Strauß aus seiner Loge hinunterging u. vor
d. Vorhang kam. Am Sonntag war endlich der Tag, den Hans dem Kirstein wid-
men konnte. Ich habe mich ferngehalten, Vormittag im Garten ; Felix kam zu Besuch
(mit Familie) ; sie brachten einen Artikel des Jehudo Epstein (N[eue] Fr[eie] Pr[esse])
gegen Kunsthistoriker (Rubensbilder – Glück) u. gegen Hans speziell (Nolde) mit.
Mittags kam ein von Toni Cassirer empfohlener Hamburger Student Gustav Del-
banco u. ich hatte ihn bis inkl[usive] Jause auf mir, es war sehr ermüdend. Aber d.
Gespräch zwischen Hans u. Kirstein war erfolgreich, d. „Bibl[iothek] f[ür] K[un]st-
g[eschichte]“ wird wieder ins Rollen gebracht, sodaß auch unsere finanziellen Verhält-
nisse rosiger werden. Abends bei Nebehay, nachdem wir Steiners abgeholt hatten. Es
war diesmal lustig u. angenehm. Aber wieder so spät ins Bett.85
Am Montag hab ich erst d. Kirstein verabschiedet, dann stadtwärts, dem Ehr-
lich die Bilder u. die eine Lithogr[aphie] in den Hagenbund gebracht, dann mir die
Holzschnitte der Heemskerk (Würthle) u. die Radierungen des Eberz (Bukum) an-
geschaut (Ganz nett, aber äußerlich). Dann mit Ehrlich u. Floch bei Lanyi (Pri-
vatsammlung), mir seine vielen u. außerordentlich guten Bilder, Zeichnungen, vor
allem das neue Selbstbildnis (mit Plakat u. gelber Frau) von OK angeschaut, das ich
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 458
- Kategorie
- Biographien