Seite - 329 - in Erica Tietze-Conrat - Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Bild der Seite - 329 -
Text der Seite - 329 -
329
Tagebuch 1925
Singt
Ein schlanker Vogel
Sein Sommerlied
–
Dengln klingt
In die Pausen.
Und weit
–
Hörst du ?
Und irgendwo weit
Bellt noch ein Hund
…
3. Juni 1925
Und heute wieder ein Gedicht, dessen erste Zeilen und Stimmungswandel ich schon
mehr als ein Jahr herumtrage.
Dann bin ich frei, am Morgen !
Am Morgen hab ich die Kraft und töte dich
–
Ich zieh dich aus wie ein vertragen Kleid,
Das schon zu viel von mir gesehen
–
Ins seichte Einerlei heiß ich dich gehen,
Dort mögen leichte Tage dir, rosig oder blau,
So wie du’s willst, verwehn.
Mit dieser flachen Hand verlösch ich dein Gesicht
–
Und wenn ich dir begegne,
Irgendwo,
Erschreck’ ich nicht.
Doch wenn das Licht
–
Doch wenn das Licht versinkt,
So segne
Ich deine Tage wieder
–
Aus meiner Sehnsucht weck ich
Die immer gleichen Klagelieder,
Daß sie dich erreichen.
Die Wunderblumen streifen
Mit ihren schweren Kelchen meine Glieder
Und meine Hände deine Lenden greifen
…
Nach diesem war ich so erregt, daß ich gleich ein zweites, dieses nur für mich, nieder-
schreiben mußte.
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 458
- Kategorie
- Biographien