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Tagebuch 1925
Lehne ist Wand.
Astern im Beet
–
Gelb, rot und blau
–
Eine blonde Frau
Auf der Schwelle steht,
Breitet über die Augen
Ihre durchsonnte Hand ;
Schaut, wer vorübergeht
…
Alles heiter, vertraut
–
Fremd nur der, immer fremd,
–
Mußt weiter
…
Gestern war ich bei d. Generalprobe eines Uraniafilmes, von den Fidschi-Inseln. Am
schönsten einer, der auf einen Palmbaum geklettert ist.
1.IX.1925
Prüger, der ja jetzt [neben] dem Kunstdepartment auch die Staatstheater hat, tele-
phoniert an d. Hans ; er war im Stift Altenburg u. dort hat ihm d. Trogerfresko in
der Bibliothek, die Königin von Saba so gut gefallen ; ob der Hans es kennt. Gewiß,
gewiß … – „Nun, Sie wissen doch, wir eröffnen die diesmalige Opernsaison mit
d. Königin von Saba. Jetzt aber ist diese Geschichte mit d. Zionistenkongreß. Die
Regierung will [nach] diesen Anfeindungen möglichst von ihrer neutralen Stel-
lung, die sie bisher gehabt hat, abrücken – jetzt ist es mir sehr unangenehm, daß
die Königin v. Saba wieder übelgenommen werden könnte, als eine jüdische Oper
nicht wahr. Absetzen ist aber auch schwer – Könnte man nicht da schreiben, daß
auch in einem Stift, in einer Klosterbibliothek“ – „Gewiß, die Königin von Saba
ist ja auch vorbildlicher Typ für d. Anleitung d. hl. Dreikönige –“ „Großartig, ich
hab doch gewußt, daß ich mich an den richtigen wende.“ Kurz, Hans hat gestern
einen Artikel über die Königin v. Saba geschrieben, ein katholisch-theologisches
„eingesendet“, um Stimmung zu machen bez[iehungsweise] Mißstimmung zu ver-
wischen
…35
Ach und die Eröffnungsreden, die Minister Schneider halten muß ! In Salzburg
ein Universitätskurs deutschnationalster-hakenkreuzlerischer Art und heute in Wien
der internationale Hochschulkurs (Hainisch ist krank). Als sich Baron Skrbensky
beim Hans beklagte, meinte dieser, das sei doch ganz einfach, sie brauchen nur die für
Salzburg zu machen
– und dann für die Wiener Eröffnung setzen sie überall dort, wo
„national“ steht, ein „inter“ voraus.
8.IX.
Hans war gestern beim alten, uralten Figdor ; der wollte ihn wegen der Verlassen-
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 458
- Kategorie
- Biographien