Seite - 400 - in Erica Tietze-Conrat - Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Bild der Seite - 400 -
Text der Seite - 400 -
400
Tagebuch 1926
26.IV.
Wir erwachten bei blauem Himmel, frisch, aber warm in der Sonne. Das war ein
schöner Morgen. Wir machten den Passeo mit der Aussicht aufs Meer noch einmal
in dem schönen Licht, gingen noch einmal zum Dom hinauf, der noch goldgelber
leuchtete, ging noch einmal in den Kreuzgang, der noch festlicher mit seiner grünen
Wildnis im Hof dalag, daß man kaum von einem zum anderen Flügel durchschauen
konnte – und endeten schließlich im Antikenmuseum, das ein paar ausgezeichnete
antike Skulpturen und noch größere Überraschungen aus Poblet enthielt. Die Auf-
schriften waren sehr lustig z. B. bei einem Relief : ein bartloser Mönch zwischen bär-
tigen – stand eine Frau zwischen zwei Mönchen, die sie mit bedenklichen Blicken
anschauen u. s. f. Gegen elf fahren wir nach Valencia ab, das Coupé schien voll, aber
es stellte sich im letzten Moment als nicht so arg vor, das meiste waren Begleitperso-
nen
…21
So lassen wir das nordische Katalonien zurück, das bei Gott nicht Spanien sein
will,
–
– die dicken kurzbeinigen Männer glattrasiert, alle wie Matrosen, schwer und
doch schlau – die dicken Frauen mit den tiefliegenden Augen bürgerlich wie franzö-
sische Provinzler, die gut gehaltenen Kinder … die reinlichen Städte … die Wasser-
spülung
… !
Valencia. Die Fahrt her war wundervoll. Der Streifen an der Küste ist durch alle
Künste jahrhundertelanger Erfahrung fruchtbar gemacht ; der rote Humus trägt die
Orangenbäume, die ihren Blütenduft Kilometer u. Kilometer ins Coupé hereinschi-
cken
…
Dann kommen die silbergrauen Ölbäume, die Mandelwälder u. dazwischen, wenn
die graue Sierra bis ans Meer herantritt, Thymian, Eriken, Lavendel. Am großartigs-
ten wirkt die Akropolis von Sagunt, das die letzte größere Station vor Valencia ist.
Hier hat sich der Himmel schon umzogen, die regenärmste Gegend der Welt („der
Niederschlag ist gering und verteilt sich auf nur wenige Tage im Jahr“ sagt d. Baede-
ker) hat natürlich, da wir Schlehmile uns nahen, das Glück einen warmen Sommer-
regen zu empfangen. Und es regnet noch bei unserem ersten Rundgang durch die
Stadt, bis es finster wurde, sodaß der maurische Eindruck sich gar nicht einstellen
wollte. Am besten hat mir die Börse gefallen, eine Riesenhalle mit gedrehten Säulen
u. gotischer Decke, in der es aber eigentlich wie in einem Palmenhaus aussieht. Sie ist
schon als Börse im 15. Jh. gebaut worden
…22
27.IV.
Der Vormittag hier in Valencia war sehr anstrengend, denn überall hieß [es], ja jetzt
ist serrado (abgesperrt) aber kommen sie in einer halben Stunde oder kommen sie
in einer Stunde u. s. f. im Collegio durften wir nicht in die Capella della purissima
conceptión, weil der Aufseher Angst hatte, wir könnten seine Sägespäne (er kehrte
gerade den Hof) hineinverschleppen, durften nicht ins Museo, weil der Rektor, der
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 458
- Kategorie
- Biographien