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Tagebuch 1926
Am Nachmittag blieben wir im
Hôtel ; im großen Schreibsalon un-
ten – Hans schrieb seinen Artikel über
Poblet (für die Volkszeitung) und ich
zeichnete die freihabende Dienerschaft
des Hauses. Auf das Glasdach knat-
terte der Regen die Musik
…30
Am nächsten Tag dann Reise-
tag, von 7h45 früh bis abends um ¼ 6,
zweimal umsteigen. Es war ein netter
aber nicht sehr aufregender Eindruck,
wie es von der Höhe wieder in die
Tiefe, ins Fruchtbare ging. An zwei
Salzseen kamen wir vorüber, an einem
Fels von dem sich ein liebender spanischer Cavallero mit seiner maurischen Freundin
hinuntergestürzt hat (La Peña), der ist wie ein Stück Filmphantasie in die Ebene
hinein geschmissen
…31
In Sevilla bezogen wir ein sehr großes u. gut eingerichtetes Dachzimmer, das sehr
ruhig ist, aber leider nur ein so hoch angebrachtes Fenster hat, daß man nur den
Himmel durchsieht. Aber der ist blau. (Am Abend waren wir noch im Kino „mejor es
vivir“, Mac ? Klean, sehr viel gelacht. Heut lieg ich im Bett
…)32
5.V.
Gestern kam die Post aus Wien ; ein sehr lieber und lustiger Brief vom Stoffel, ein
ganz allerliebstes Brieferl vom Anderl u. sonst lauter Unannehmlichkeiten. Am
Nachmittag waren wir in dem phantastisch tropischen Park, der nur durch seine gla-
sierten Tonfliesenbänke für mich unbenutzbar war und sind dann an den Guadalqui-
vir gegangen, der ganz anders aussieht, als man sich ihn nach d. Gedicht vorstellt. Er
ist bis Sevilla auch für große Schiffe gangbar gemacht worden u. ist so ein schöner
kleiner Hafen geworden mit einer Flußuferbahn u. Kränen, aufklappbare Brücke u.
was halt dazu gehört. Am drüberen Ufer kleine Häuser weiß, rosa, grün und wieder
weiß und weiß. Das war sehr schön
…
Dann ging ich nachhaus, schrieb Briefe – Georg u. die Kinder. Heute ist einzig
schönes Wetter ! ! ! ! !
(Abends)
Wir waren am Vormittag in der Kathedrale ; man muß zu den verschiedenen abge-
sperrten Räumen Eintritt zahlen, offiziell 3 P[eseten] pro Kopf, aber es kommt noch
viel dazu und lohnt sich gar nicht. Schön ist doch nur der Gesamteindruck, vor allem
außen vom Orangenhof aus, dann die prachtvollen Terracottafiguren an den seitli-
chen Westportalen die wie Pacher und Grünewald zusammen ausschauen u. von ei-
Abb. 78 : Ausblick von der Alhambra in Granada : „zu viel ‚Motiv‘“.
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 458
- Kategorie
- Biographien