Seite - 413 - in Erica Tietze-Conrat - Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Bild der Seite - 413 -
Text der Seite - 413 -
413
Tagebuch 1926
Ich habe die weiteren Verse, die sich auf mich beziehen möchten, diesmal unter-
drückt. Nicht leichten Herzens, denn mir liegt das lyrische Reflektieren – aber ich
wollte diesmal ein Gedicht machen, wie man eine Landschaft malt
…
Nach Tisch fuhren wir bequem aber wackelig aus Cádiz fort. Der Abschied war
uns schwer. Der Eindruck dort war so geschlossen, die Luft wohltuend, das Zimmer
im Hotel herrlich
– und dann wir fuhren zum erstenmal nach Norden ! Da wird dem
Deutschen immer weh ums Herz
…
In Sevilla kamen wir in unser altes Hotel, das aber nur ein anderes minderes Zim-
mer für uns hatte, sodaß wir den Abend nicht daheim verbringen wollten. Und weil
es schließlich noch zu regnen begann, so endeten wir im Kino. Das Hauptstück war
trostlos, aber danach ein ausgezeichneter W. Fox Film, der Schottische Freier (El
novio Escosses) mit vielen grotesken Höhepunkten
… (Eisblock der dem Fiebernden
auf den Kopf gelegt wird, zu tröpfeln anfängt u. langsam um den ganzen Kopf herum
schmilzt !)42
12.V.
Am nächsten Morgen fuhren wir nach Cordoba. Die Stadt sieht trostlos aus, wie ein
viel zu weit gewordener Anzug, in dem ein armseliger Körper schlottert. Nur wenige
Straßen mit den appetitlichen andalusischen Häusern, aus denen der begrünte Patio
winkt. Aber der Dom, der eigentlich eine Moschee ist – der unerwartetste, unvorstell-
barste Bau, den es gibt. Von außen schon wie ein Festungsviereck, der Zugang durch
den Orangenhof mit den alten Reinigungsbrunnen der Moslems. Die Moschee sel-
ber eine verhundertfachte Säulenkrypta, ein deckenloser Wald von Säulen und Bo-
gen, weiß u. rot, weiß u. rot. Über ein paar Säulenreihen, besser Säulchenreihen läuft
ein breiterer Lichtfang in die Höhe, das ist der einzige Anspruch an architektonischer
Gliederung. Was sonst an Detail erhalten ist, die Betnischen etwa, alles viel schöner –
solider gearbeitet als in d. Alhambra, Marmorschnitzerei nicht schablonisierter Stuck.
Hinter diesem seltsamsten uneuropäischen Bau ist die römische, maurische Brücke
über den Guadalquivir ; endloser Bogengang mit zwei Turmbauten an den Enden. Esel
ziehen über die Brücke das abgleitende Ufer hinunter, wo ihre Körbe mit Steinen be-
laden werden, die sie zu einem Hausbau am anderen Ende der Stadt hintragen. Man
begegnet links immer wieder den Zügen, fünf zu fünf, die schon abgeladen sind und
[…] rechts den beladenen. Von der Brücke aus sieht man den Fluß hinauf u. hinunter ;
in dem breiten versandeten Bett stehen Ruinen von maurischen Ruinen. Das Wasser
ist wie brauner Schlamm, jetzt in der schief stehenden Sonne, die schwül von Wolken
verhängt ist, wird es heliotrop ; die Sandflecken dazwischen tragen bisweilen ganz un-
wahrscheinlich helles grün, und die Häuser am Flußufer spielen von Creme in zartes-
tes Lachsrosa. Die Farben sind wunderbar leicht, stofflos, jedes „Motiv“ fehlt
…43
Wir haben in Cordoba noch die wenig bedeutenden Museen angeschaut (das neue
Archäologische hat ein paar gute Stücke z. B. eine Verkündigung aus Stein lebens-
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 458
- Kategorie
- Biographien