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Tagebuch 1926
waren wir noch im Kino, das diesmal sogar bis ¼ 2 dauerte – aber die Metro funkti-
onierte noch und um 1h25 waren wir zuhause, klatschen in die Hände u. der Nacht-
wächter eilte herbei u. schloß uns auf
…48
Auch heute wieder im Prado, wo wir wieder neue Säle entdeckten und altes ge-
nauer studierten. Zumittag zogen wir in ein Zimmer um, das ruhiger zu sein ver-
spricht, sodaß wir abends das Kino u. Nachts das Schlafmittel entbehren können.
Dann zogen wir nach jeder Richtung ausgerüstet zu unserer Corrida aus u. erfuhren,
daß sie in letzter Stunde vom Tierarzt abgesagt wurde. Die Stiere waren zu klein.
Jetzt heißt es neue Karten beschaffen – den Nachmittag haben wir auch verloren,
schlechte Laune
…
Im Park, wo’s staubt
…
17.V.
Gestern war Sonntag ; „Kalte Sophie“ ; ich glaub, es hat nicht viel über 0° gehabt. Am
Morgen waren wir im Kunstgewerbemuseum, das bis auf ganz wenige Stücke (vor
allem bei den Funden des „Tesoro“) unbedeutend ist.49
Nach Tisch also endlich die lang ersehnte Corrida. Wir waren eine Stunde früher
draußen u. sahen das Riesentheater sich füllen. Anfangs ging alles in die Arena hin-
unter, die so auch schon voll Menschen war, während die ansteigenden Sitze herum
noch leer waren, die Billeteure u. Stallburschen haben sich darum beschäftigt, Pölster
auf die Steinsitze der Abonnenten zu legen. Um die Arena herum läuft erst ein Kor-
ridor ohne Sitze, weil sich dort hinein die vor dem Stier Flüchtenden über die Holz-
brüstung schwingen
– der 2. Stier war auch einmal dort hinein gesprungen ; worüber
alles in Gelächter ausbrach – ; der Raum faßte 17.000 Personen, er war ausverkauft.
Während die Leute zuströmen spielt (recht unansehnlich) eine Musikkapelle. „Pre-
ciso“ um 5h war die Arena geräumt (die letzten liefen in Carriere darüber auf ihre
Plätze), ein Zeichen vom Präsidenten (ober uns in der Loge) öffnet sich das eine Tor
u. es erfolgt der Aufmarsch ; zwei Herolde, rechts Mantelschwinger, drei Pfeilwer-
fer, drei Lanzenstecher und drei Torreadores ; am Schluß die Maultiergespanne zum
Herausschleppen der Leichen, viele Stallknechte. Dann wurde die Arena wieder frei
gemacht, die Mantelschwinger verzogen sich an den Rand, wieder ein Zeichen, die
Stalltür öffnet sich u. heraus stürzt der Stier, der lange im Finstern gehalten worden u.
jetzt im Licht sich herumzutummeln beginnt. Was weiter folgt ist solange die Sache
mit Geschicklichkeit u. Grazie allein sich abspielt, sehr hübsch anzusehen – u. ich
möchte gern wieder eine portugiesische Corrida sehen, die bis zum Schluß unblutig
bleibt – alles andere aber ist furchtbar. Die Pferde, ausgediente brave Pferde, die ihr
lebenlang ihre Pflicht dem Menschen gegenüber erfüllt haben, werden mit verbun-
denen Augen von den Stallknechten wirklich in den Tod getrieben. Mit heraushän-
genden Eingeweiden jagen sie rasend über die Arena, bis sie irgendwo in den Sand
sich schmeißen und wälzen und verzucken. Schnell wird ein sandfarbenes Tuch über
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 458
- Kategorie
- Biographien