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Vorwort
beobachten. Während die frühen Entwürfe zu dem Werkprojekt in der Vorarbeit und
von K1, die wahrscheinlich auf das Jahr 1934 zurückgehen,4 noch unter dem TitelDie
Unbekannte der Seine oderL’inconnue de la Seine stehen und eine Handlung im klein-
bürgerlichen Milieu skizzieren, die um die Unbekannte kreist, emanzipiert sich Hor-
váth im Laufe von K1 allmählich von diesem Konzept und verlegt die Handlung ins
Filmmilieu, in dem er seit dem Jahr 1934 ausreichend eigenständige Erfahrungen ge-
macht hatte.5 Die Geschichte um die Unbekannte wird damit zur Binnenhandlung,
indem in dem Stück die Vorbereitungen für und die Querelen um einen Film über die
Unbekannte dargestellt werden. Aus der Unbekannten aus der Seine wird in Hor-
váths Komödien Das unbekannte Leben und Mit dem Kopf durch die Wand die unbe-
kannte Schauspielerin, die die Unbekannte spielen will. Sie hat nicht nur die Haupt-
rolle im Stück inne, sondern strebt auch jene im noch zu drehenden Film an. Damit
distanziert sich der Autor nicht nur von Paulis Erzählung und dem Mythos um die
Unbekannte, sondern auch von seinem früheren Drama und schreibt eine Komödie
über die Suche nach einem Stoff, nach einer Handlung für einen Film über die Un-
bekannte aus der Seine. Deshalb spielt auch die Frage nach dem Plagiat und nach
dem Eigentum geistiger Werte in den Endfassungen von Das unbekannte Leben und
Mit dem Kopf durch die Wand solch eine zentrale Rolle.6
Insgesamt kann man annehmen, dass die Arbeit an dem WerkprojektMit dem Kopf
durch die Wand, insbesondere an K2 und K3, in relativ kurzer Zeit vor sich gegangen
ist. Die Schauspielerin Wera Liessem7, Lebensgefährtin Ödön von Horváths von 1934
bis zu seinem Tod 1938, berichtet in einem Brief an den Herausgeber derGesammel-
ten Werke Horváths, Traugott Krischke, am 28.November 1957 über die Entstehungs-
zeit vonDas unbekannte Leben bzw. Mit dem Kopf durch die Wand:
In Wien war alles sehr schwer. Das Geld war knapp. Wir versetzten zeitweise alles, was wir hat-
ten. Horváth versuchte [es] bei seinen Verlegern und bekam Vorschuß für ein neues Stück. Zu
diesem Zweck hatten wir vor, an die Riviera zu fahren, in die Gegend von San Remo. Wir kauften
einen Fiatwagen und fuhren los. Aber in San Remo, wo er das Stück zu gebären versuchte, war
4 Vgl. K1/E1–E3 und E12–E14, auf denen sich auch Entwürfe zu K2 von Hin und her (1934) befin-
den, die im Laufe des Jahres 1934 im Zuge der Neubearbeitung der Posse entstanden sind; vgl.
dazu WA6/Hin und her/K2.
5 Vgl. Evelyne Polt-Heinzl/Christine Schmidjell: Geborgte Leben. Horváth und der Film. In: Klaus
Kastberger (Hg.): Ödön von Horváth. Unendliche Dummheit– dumme Unendlichkeit. Mit einem
Dossier „Geborgte Leben. Horváth und der Film“. Wien: Zsolnay 2001 (= Profile. Magazin des Ös-
terreichischen Literaturarchivs, Bd. 8), S. 193–261; vgl. auch das Vorwort zu Himmelwärts in
diesem Band, S. 17 und 20.
6 Vgl. Nicole Streitler-Kastberger: Im Schatten einer Totenmaske, oder: „Liebe ist nur eine fixe
Idee…“ – Hertha Pauli und Ödön von Horváth. In: Susanne Blumesberger/Ernst Seibert (Hg.):
„Eine Brücke über den Riss der Zeit…“. Das Leben und Wirken der Journalistin und Schriftstel-
lerin Hertha Pauli (1906–1973). Wien: Praesens 2012 (= biografiA, Bd. 10), S. 172–196, hier
S. 182–190.
7 Wera Liessem (1913–1991), Schauspielerin unter anderem an den Münchener Kammerspielen
und dem Wiener Volkstheater, spielte in der Uraufführung von Mit dem Kopf durch die Wand
1935 in Wien die im Theaterzettel als Suzanne bezeichnete Unbekannte. Als Filmschauspielerin
war sie unter anderem an Thea von Harbous (1888–1954) Film Das erste Recht des Kindes (D
1932) beteiligt. Die Drehbuchautorin und Regisseurin Thea von Harbou taucht als Barbou in der
ersten Fassung vonDas unbekannte Leben (K2/TS16) auf. In K2/TS17 wird sie von Horváth in Si-
mone umbenannt, inMit dem Kopf durch die Wand (K3/TS21) kommt sie nicht mehr vor.
Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
Historisch-kritische Edition, Band 2
- Titel
- Wiener Ausgabe sämtlicher Werke
- Untertitel
- Historisch-kritische Edition
- Band
- 2
- Autor
- Ödön von Horváth
- Herausgeber
- Klaus Kastberger
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-058470-7
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 610
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Das unbekannte Leben Mit dem Kopf durch die Wand
- Vorwort 333
- Lesetext 351
- Vorarbeit: Die Unbekannte der Seine 353
- Das unbekannte Leben. Komödie (Endfassung in fünf Akten, emendiert) 675
- Das unbekannte Leben. Komödie (Endfassung in vier Akten, emendiert) 735
- Mit dem Kopf durch die Wand. Komödie (Endfassung in vier Akten, emendiert) 785
- Kommentar 829
- Chronologisches Verzeichnis 831
- Übersichtsgrafik 891
- Hertha Pauli: L’inconnue de la Seine 905
- Anhang 909
- Editionsprinzipien 911
- Siglen und Abkürzungen 920
- Literaturverzeichnis 923
- Inhalt (detailliert) 927