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10 Tagebücher
in seiner nächsten nähe liegen noch andere trümmer von geringeren
colossen und ruinen der verschiedensten Art, bis man zu den zwey großen
sitzenden colossen kömmt, welche mitten in der grünen ebene, zwar sehr
beschädigt aber doch noch aufrecht sitzen, der eine davon ist die berühmte
singende statue des memnon, die bey sonnenaufgang tönen soll. ein Ara-
ber stieg hinauf und schlug an den tönenden stein. die leute behaupten,
die figuren stellten sem und cham, söhne noës, vor.
nachdem wir einen Augenblick im schatten dieser kolossse geruht hat-
ten, denn die hitze war beynahe unerträglich, ritten wir weiter nach medi-
met habuh, wo die größte aller ruinen: der königspallast zu sehen ist. hier
war ehemals die königsstraße, welche mittelst einer überfuhr mit dem ge-
pflasterten Dromos et Sphinxe in Luxor correspondirte.
dieser königspallast ist ungeheuer groß, noch mehr als zur hälfte in
schutt und sand vergraben (hier sowie in dendera haben die römer und
dann die ersten christen häuser in und auf die egyptischen Bauten gebaut,
welche jetzt in trümmern liegen, während die alten egyptischen Bauwerke
vergleichsweise weit besser erhalten sind) trotz der Ausgrabungen cham-
pollions, Wilkinsons und des hundes lepsius, sonst aber noch ziemlich gut
conservirt, es sind im ganzen 4–5 höfe, davon einer mit einem sehr schönen
doppelten säulengange, viele der säulen liegen im hofe in großen stücken
seit cambyses, alle Wände sind mit hieroglyphen bedeckt, schlachten mit
den ägyptischen Wagenburgen, hinrichtungen der gefangenen, Abschnei-
den ihrer hände etc., daneben sanftere gegenstände, besonders in den ge-
mächern der frauen: mahlzeiten, opfer, geschenke, Blumen, umarmun-
gen, dazwischen sehr häufig eine Art Priapus. Einige behaupten, auch die
gefangenschaft der Juden aufgefunden zu haben, gründen dieses aber auf
nichts Anderes als auf den kopfschmuck dieser gefangenen, welcher eine
Ähnlichkeit mit dem altrussischen hat, sonst kömmt von allen Bibelge-
schichten weder hier noch, wie ich höre, in andern ägyptischen denkmälern
irgend etwas vor. der Bau datirt von thothmes 2. und remeses 3. und soll
durch nebucadnezar zerstört worden seyn.
von da ritten wir an einer unzahl gräber, von denen alle anstoßenden
Berge voll sind, vorbey nach einem kleinen tempel dayr el medeeneh aus
der Zeit der Ptolemäer und dann nachhause, wo wir gegen 1/2 5 anlang-
ten. es sind jetzt 9–10 europäische Boote hier anwesend, und ich ließ das
Boot an das lebhaftere luxor (östliche) ufer anlegen, wobey wir das ernst-
liche unglück hatten, unsern einzigen suppentopf und ein paar teller zu
zerbrechen. dagegen wurden wir nach tische durch das erscheinen von
tänzerinnen entschädigt, welche am ufer dicht vor unserem Boote bey la-
ternenlicht ihre tänze aufführten, keine war hübsch genug, um mich in
versuchung zu führen, und sie waren mit dem geschenke eines thalers zu-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien