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2925.
Jänner 1854
hier, wie überhaupt überall in nubien, kam die ganze Bevölkerung uns
zugelaufen, Alles mögliche zum verkaufe anbietend, steine, scarabeen,
die messer, welche sie am Arme mit einer ledernen schlinge tragen, eben-
holzstöcke, Paños und allen erdenklichen Plunder, Weiber und kinder zwi-
schen furcht, neugierde und geldsucht schwankend, davonlaufend, wenn
man ihnen in die nähe kömmt, und gleich darauf wieder nachdrängend,
im ganzen ein schöner schlag menschen, schwarzbraun und ganz nackt.
die mädchen tragen jenen paño von leder und Perlen, die Weiber einen
braunen überwurf. Alle aber glauben fest, die europäer kommen bloß, um
in ihren tempeln durch Zauberey verborgene schätze zu heben, und ver-
langen Bakschisch als einen theil des gefundenen.
gegen 2 uhr nachmittags sahen wir einen dritten tempel, in gerf hos-
seyn, den größten und schönsten von Allen, ja von Allen in nubien, ipsam-
bul ausgenommen, er ist wie dieser in den felsen gehauen, und äußerlich
nichts zu sehen als das ziemlich schmale thor und eine doppelte säulen-
reihe als eingang, eine Art Porticus, im innern aber sind colossale räume:
kolosse als caryatiden im propylon etc., er ist von sesostris gebaut. man
sieht hier zuweilen ruinen von dämmen, mit denen die römer den nil ge-
gen die Aethiopier zu sperren versuchten.
[am nil vor Philoë] 25. Jänner
vorgestern nachmittags sahen wir noch einen vierten tempel, in dendur,
ziemlich unbedeutend.
in der dunkelheit begegneten wir später einem englischen Boote, wel-
ches vor 3 Wochen cairo verlassen hatte und uns zurief, die türkische flotte
sey bey sinope zerstört worden. diese Angabe wurde uns gestern durch ein
anderes Boot, dem wir begegneten, mit dem Zusatze bestätiget, frankreich
und england hätten krieg an rußland erklärt, und lord Palmerston sey
Premierminister.1 Alles dieß klingt ziemlich unwahrscheinlich, doch bedeu-
tet es so viel, daß der krieg fortdauert, und daß demnach die heimreise
über syrien, constantinopel und die donau immer unwahrscheinlicher
wird, cela me préoccupe, und es reißt nebenbey meine europäischen narben
auf. infandum renovat dolorem.
gestern früh ankerten wir vor kalabsche (talmis) und gingen, sobald
wir aufgestanden waren, die beyden dort befindlichen Tempel ansehen. Der
eine, sehr groß und noch ziemlich gut erhalten (an den tempel in medinet
1 Am 30.11.1853 siegte die russische flotte über die türkische vor sinope/sinop, ca. 600 km
östlich von konstantinopel. die weiteren informationen waren falsch, in england blieb
Aberdeen Premier-, Palmerston innenminister, zum kriegsausbruch zwischen russland
und den Westmächten kam es erst am 28.3.1854.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien