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April 1854
reben, an einer oder 2 stellen große capellen als salons und divan für den
Sommer, die Prunkgemächer superbe, Teppiche, Marmorpflaster, Divans,
Wandverzierung, Plafonds etc. Alles kostbar, kunstreich geschnitzt, ein-
gelegt, vergoldet, von lebhaftesten farben, ebenso reich die costumes der
frauen, sogar die stelzenartigen Pantoffel, in denen sie im hofe etc. herum-
gehen, mit Perlenmutter eingelegt. mad. fresch selbst eine der schönsten
jungen frauen, die ich seit lange gesehen. von da gingen wir zu dem hause
eines Juden Signore Lisbone, das noch halb im Bau befindlich ist, und zwar
im modernen style, mehr symmetrie in dem corps de logis, comfortabler,
aber minder reich und bizarr. Auch da sahen wir des jungen herrn frau
(ebenfalls ein schönes Weib) und mutter, im harem, in den wir hinein-
stolperten, stank es ziemlich europäisch-jüdisch. das 3. haus, welches wir
sahen, war das einer ehemals sehr reichen, jetzt herabgekommenen Juden-
familie Farchi, magnifique, alter Styl, jedoch vernachlässigt. Dann kamen
wir in das haus des mufti, welches vom englischen consul m. Wood be-
wohnt wird, an dem ich einen sehr angenehmen gentleman fand, der mich
dann auch zu seiner recht hübschen frau führte. Bey diesen war die toch-
ter des Baron guyonsplenyi (sie lebt hier, er, sowie stein, ist in Armenien
bey der Armée als churschid Pascha und soll dort Bedeutendes leisten),1
was mir aber helias leider erst sagte, als ich weg war. sie engagirten mich,
des Abends zu ihnen zu kommen, was ich vielleicht auch thun werde, da
mir diese Familie sehr gut gefiel.
Wir sahen dann noch die besseren Bazaars, welche ungefähr so aussehen
wie die in cairo, nur weniger belebt, ein paar elende caffehhäuser, die große
caserne, in der der seraskier,2 der die Armée von Arabistan kommandirt,
seine Wohnung hat, und den großen superben khan des Assad-Pascha, eine
Art Börse und Waarenhalle, das Wetter war abwechselnd schön und regen,
ganz wie bey uns im April, und ich fror und friere in diesen magnifiquen
sommerhäusern und stockhohen Zimmern nach herzenslust. diese häu-
ser, welche die haupt- oder einzige sehenswürdigkeit von damascus sind
(denn in Allem Anderen ist mit cairo kein vergleich), wären für Aegyptens
clima passend, nicht aber für hier. überhaupt ist mir, seit ich in Jerusalem
ankam, nicht einen Augenblick warm und comfortable zu muthe gewesen,
ausgenommen wärend der paar tage in Beyrut.
1 sowohl graf richard guyon (kurschid Pascha), verheiratet mit einer tochter des generals
splenyi, als auch frh. maximilian stein (ferhad Pascha) waren nach 1849 als flüchtlinge
in die türkische Armee eingetreten. sie waren beide generäle der ungarischen revolutions-
armee.
2 seraskier – hier Armeekommandant, auch kriegsminister.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien