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Mai 1854
Pascha1 statt. man spricht immer von einem vorrücken der hülfstruppen
nach und über varna, doch haben sie noch weder hinreichend Pferde noch
kanonen. so eben sind 3000 Pferde der franzosen in gallipoli angekom-
men (die engländer haben noch kein Pferd hier, ausgenommen wenige
zur Bespannung einiger kanonen), nämlich 2 cavallerieregimenter, das
übrige Artillerie- und trainpferde. das ist Alles, was bisher vorhanden ist.
im lande sind zur Bespannung etc. keine Pferde aufzutreiben. es dürf-
ten etwa 30.000 franzosen und 15.000 engländer im lande seyn, omer
Pascha hat 70–80.000 mann disponibel, der transport der englischen und
französischen truppen hieher sowie überhaupt alle dispositionen etc. ge-
hen entsetzlich langsam, und in england fängt man schon an bedeutend
zu murren. in frankreich ist die Presse geknebelter als jemals, während
unsere Blätter sich außerordentlich frey pro und contra aussprechen, un-
sere Journalistik gedeiht besser als zu erwarten war.
dagegen schwankt Preußen trotz des Allianztraktates mit uns mehr als
je, der kriegsminister Bonin ist ausgetreten, Bunsen abberufen, die rus-
sischen sympathien des königs scheinen für den Augenblick zu praevali-
ren, überhaupt nehmen die dinge allmälig eine immer ernstere Wendung.
england rüstet immer mehr, l. napoleon zieht ein lager an der belgischen
grenze zusammen, Anlehen über Anlehen, das unsrige ist mißglückt.2
der Aufenthalt in constantinopel könnte weit erträglicher seyn, wenn
die Communicationsmittel zwischen Haus und Haus, Pflasterung, Straßen-
beleuchtung, reinlichkeit etc. nicht so unter aller kritik schlecht wären.
elemente einer ziemlich angenehmen, wenn auch nicht sehr zahlreichen
europäischen gesellschaft wären genug vorhanden, und stürmer’s haus
soll für dieselbe ein brillanter mittelpunkt gewesen seyn.3 Bruck negligirt
überhaupt den socialen theil seiner mission, und sein hauswesen wäre
auch dazu nicht geeignet, und es gehören allerdings bedeutende reizmittel
dazu, um bey jenen lokalen schwierigkeiten die leute aus ihren häusern
zu locken. die türkische regierung hat öfters versuche gemacht, diesen
übelständen abzuhelfen, alles aber scheiterte an dem Widerstande der eu-
ropäer, welche keine steuern oder Beyträge zahlen und sich den Anord-
nungen derselben nicht unterwerfen wollen. diese exemtion der europäer
(welche freylich in der mangelhaften verwaltung und Justiz der türkischen
regierung ihren grund hat) ist überhaupt das hinderniß für Alles und Je-
1 kriegs- (seraskier) und marineminister (kapudan Pascha).
2 eine im mai 1854 in frankfurt und Amsterdam aufgelegte silberanleihe über 35 mill.
gulden wurde nur zu 19 mill. gezeichnet, den rest übernahmen Banken zum kommissi-
onsverkauf und für bereits geleistete vorschüsse.
3 graf Bartholomäus stürmer war seit 1832 gesandter, 1834–1850 internuntius in konstan-
tinopel.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien