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Tagebücher112
rocco, und das meer ging sehr hoch, doch brachte das uns schnell vorwärts,
mir war sehr unbehaglich zu muthe, wenn ich auch nicht eigentlich see-
krank war. gestern beruhigte sich das meer nach und nach, und wir hatten
bey herrlichem Wetter eine sehr angenehme fahrt längs der küste istriens
von Promontore an bis hierher, eine ununterbrochene reihe von städten,
dörfern, villen etc. um 6 uhr Abends waren wir hier, doch wurde es 1/2 8,
bis alle formalitäten erfüllt waren und wir uns ausschiffen konnten. ich
wohne wieder im hôtel national.
Wimpffen ist in dalmatien, soll aber morgen zurück kehren, ich sah
heute cordon, Pascotini, möring, Willersdorf, ernst fünfkirchen, giacich
etc. ich ging gegen mittag mit den Pascotinis, die ich zufällig begegnete, an
den molo, um resi hohenlohe, welche eben von venedig kam, zu begrüßen,
sie fuhr mit egon gleich weiter nach duino. ich fuhr heute nachmittag mit
cordon nach s. Andrea, und wir besichtigten dort das im Bau begriffene
Arsenal des lloyd.
soviel ich sehe und höre, und wie ich es vermuthete, scheinen bey uns
die verschiedenartigen sympathieen und Antipathieen in einer großen gäh-
rung begriffen, der übergang ist auch etwas rasch, das muß man gestehen,
die russenanbether und engländerfresser agitiren sich ganz wüthend, und
zu diesen gehören namentlich alle alten Weiber und hochgestellten generäle
und Alle, die diesen nachbethen, ich glaube nicht, daß die Armée zu diesen
gehört. der kaiser soll ganz entschieden antirussisch seyn, und als seinen
Hauptsouffleur nennt man Bach, eine sonderbare und neue Gruppirung der
Partheyen und menschen, ich bin neugierig, dieses in Wien anzusehen.
die europäischen Zeitungen wimmeln von lügen aus und über constan-
tinopel und den kriegsschauplatz, heute erzählt man von einem bedeu-
tenden siege der insurgenten in thessalien bey volo, ich kann aber kaum
daran glauben.
gutmannsthal, den ich heute besuchte, erzählte mir, daß man in ruß-
land über unsere zweydeutige stellung allgemein entrüstet ist, und der
haß gegen oesterreich weit stärker als gegen england und frankreich, das
begreife ich vollkommen. er ist natürlich sehr russisch und sagte mir et-
was, was mich frappirte und überlegung verdient: Wir brauchen die frey-
heit der donau nur bis ans, nicht bis ins meer. das hauptfeld für unsern
handel sind die europäischen Provinzen der türkey, was aus der donau
nach constantinopel geht, kann aber ebensogut über triest dahin gehen.
die Barrage der donaumündungen aber schützt uns vor der Alles verzeh-
renden englischen concurrenz. freylich ist dabey die kornausfuhr aus un-
garn etc. nach europa aus den Augen gelassen.
die kleinen deutschen staaten halten conferenzen zu Bamberg über das
in der orientalischen, namentlich griechischen, frage zu beobachtende ver-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien