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Oktober 1855
müssen, so daß eigentlich diese letztere zu nichts Anderem gegründet zu
werden scheint, als um den crédit mobilier möglich zu machen. Aber was
soll ein crédit mobilier in oesterreich unter den jetzigen verhältnissen viel
nützen?1
endlich die 175 millionen staatsgüter, welche der Bank zur deckung der
staatsschuld übergeben werden, werden derselben zur herstellung der me-
tallcirculation auch nichts nützen, hätte man ihr anstatt derselben staats-
papiere gegeben, so hätte sie dafür aus dem Auslande silber und gold erhal-
ten können.
überhaupt scheint mir Bruck gottsjämmerlich zu operiren, er wagt es
nicht einmahl, die Bank zur erhöhung ihres discontos zu zwingen, und wir
erleben jetzt das scandal, daß, während die londonerbank den disconto bis
auf 7%, die Pariser auf 5% erhöht hat, die paar canaillen, welche die hiesige
Bank exploitiren, sich fortwährend zu 4% geld machen, während man im
ganze lande zu 8 und zu 10% keines bekömmt. Auch mit Pereire hat er sich
blamirt und arbeitet in seiner spießbürgerlichen unbefangenheit mit dem
größten eifer daran, ihn zu bewegen, daß er sich mit rothschild fusionnire,
was eine geradezu lächerliche imposition ist. Am ende ist der mann auch
nichts weiter als ein triester shopkeeper.
hier ist es noch sehr leer, das Wetter aber herrlich, der kaiser kam vor-
gestern von ischel. gabrielle ist hier und bleibt mit erzherzogin hildegarde
wahrscheinlich den ganzen Winter hier, hätte es die gesundheit dieser letz-
teren erlaubt, so wäre sie und gabrielle mit ihr nach neapel gegangen, wo-
hin erzherzog Albrecht, erzherzogin marie und erzherzog rainer gestern
abgereist sind. flore geht in 14 tagen nach Paris, von plötzlicher reisewuth
ergriffen, ich war vorgestern in Baden, um sie zu sehen und ihr ihre reise-
pläne zu ordnen.
rechberg geht an Prokesch’s stelle nach frankfurt, ich habe heute eine
lange conversation mit ihm gehabt, das ist auch ein gemüthlicher, der noch
etwas aus dem Bundestage herauszubringen hofft, und zwar durch Benüt-
zung und Ausbildung des executionsausschusses im sinne der ministerial-
beschlüsse von 1834,2 ich aber sage: was nützt der Buchstabe?
1 finanzminister karl ludwig frh. v. Bruck war nach Bad ischl gereist, um die kaiserlichen
genehmigungen für diese maßnahmen zu erhalten. die Bildung der hypothekarkredit-Ab-
teilung der nationalbank erhielt die sanktion am 12. oktober. um die konzession für die
„credit-Anstalt für handel und gewerbe“ hatte sich auch der Pariser „crédit mobilier“ der
Brüder Pereire beworben. den Zuschlag erhielt das von rothschild geführte konsortium,
das grundkapital von 60 millionen gulden stammte je zur hälfte von einer gruppe ade-
liger gutsbesitzer und vom Bankhaus rothschild. die statuten der neuen Bank erhielten
am 31. oktober die kaiserliche genehmigung.
2 die Beschlüsse der Wiener minister-konferenzen v. 12.6.1834 sollten dazu dienen, die Aus-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien