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Tagebücher234
roli zu biegen. der mann setzt im großen wie im kleinen nichts durch und
hat weder energie noch courage.
ich hatte beynahe mit gewißheit darauf gerechnet gewählt zu werden,
und der Wirkungskreis lockte mich sehr. Bey der Art, wie die Wahlen jedoch
ausgefallen sind, und bey der Wendung, welche die ganze sache genommen
hat, ist es mir freylich leichter geworden, diese schlappe zu verschmerzen,
doch kann ich nicht läugnen, daß ich im ersten Augenblicke betroffen, na-
mentlich aber über Brucks unzuverlässigkeit erbittert war.
ich ging vorgestern, da ich es erfuhr, noch am selben tage zu ihm und
hatte eine lange und stellenweise ziemlich bittere (meinerseits nämlich,
denn er suchte sich zu entschuldigen) unterredung mit ihm, er läugnete gar
nicht, daß er mit dem resultate unzufrieden sey, ein kurioses geständniß
für einen minister, und sagte mir, ich möchte nur noch bis Anfang februar
warten, wo unter mitwirkung der creditanstalt und der gesellschaft roth-
schild, talabot, laing & c. die Bildung der italienischen eisenbahngesell-
schaft erfolgen werde, wo er mir eine eminente stellung verspreche.1 ich
sagte darauf weder Ja noch nein, will aber doch diese neue chance noch
abwarten, sowenig ich auch auf seine Phrasen mehr gebe, und sowenig lok-
kend auch diese stellung im vergleiche zu dem ist, was die direction der
creditanstalt unter andern verhältnissen hätte werden können.
denn diese verhältnisse haben sich in letzter Zeit sehr geändert, es ist
ein reines schwindelgeschäft geworden, anstatt die Actien möglichst in feste
hände zu bringen, haben die gründer 45 millionen für sich behalten, die sie
nun schon mit 15–20% gewinn losschlagen, und 15 millionen der öffentli-
chen Betheiligung reservirt, und subskribiren nun selber mit auf diese! es
wird ein beyspielloser Andrang werden, und man erwartet 1000, vielleicht
noch mehr millionen an subscriptionen, es ist ein wahrer scandal, und die
rückwirkung und discreditirung wird nicht ausbleiben.
Bruck hat eine Brochure über die österreichischen geld- und creditver-
hältnisse durch Prof. stein schreiben lassen als eine Art von finanziellem
manifest,2 ein gemisch von unsinn, Wortschwall und gemeinplätzen. von
1 die „Actien-gesellschaft der lombardisch-venetianischen eisenbahnen“ übernahm die im
Betrieb und im Bau befindlichen Strecken der lombardisch-venetianischen Staatsbahnen
und verpflichtete sich zum Bau weiterer Strecken, vor allem der Herstellung der Verbin-
dung triest-venedig-mailand und der Anbindung an die toskanischen Bahnen. der ent-
sprechende vertrag wurde am 14.3.1856 geschlossen (kaiserliche genehmigung am 17.
April). gründer der gesellschaft waren neben der credit-Anstalt und dem Wiener und
londoner haus rothschild französische, italienische und englische investoren, darunter
auch jene Personen, mit denen Andrian verhandelt hatte (talabot, Blount, laing, uzielli).
Andrian wurde verwaltungsrat dieser gesellschaft, vgl. eintrag v. 4.5.1856.
2 lorenz v. stein, die neue gestaltung der geld- und creditverhältnisse in österreich (Wien 1855).
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien