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mit diesen drey alten Bekannten, zu denen dann auch noch ein neuer,
mir sehr zusagender, Prof. häusser, sich gesellte, verbrachte ich den größten
theil der Zeit, die ich in heidelberg zubrachte, die Abende bey gagern und
mohl in ihren familien, bey diesem letzteren traf ich auch den ehemaligen
minister dusch.
daß in diesen kreisen neben der wissenschaftlichen Beschäftigung, und
zwar namentlich wenn gagern dabey ist (der auch hierin wie in Allem ein-
seitig ist), vorzugsweise Politik und zwar deutsche Politik getrieben wird,
versteht sich von selbst. dazu trägt denn auch Bunsen bey, welcher sammt
familie hier lebt, den ich aber, so wie er mich, verfehlte, so dass ich ihn, da
er auch während der Zeit meines Aufenthaltes eine schweizerreise antrat,
gar nicht gesehen habe. die stimmung ist eine hoffende, erwartende, ohne
einen Plan, ohne eine bestimmte Aussicht, wie und wann es anders werden
dürfte? sind sie Alle davon überzeugt, daß bey dem nächsten äußern An-
stoße Alles in stücke gehen werde, doch zweifle ich, ob sie in diesem falle
jemals wieder in den vordergrund treten werden, sie sind sammt und son-
ders in die vormärzlichen idéen und Phrasen festgerannt und zu ehrlich,
um von ihrer überzeugung abzugehen, daß diese männer ihre hoffnung
auf Preußen gesetzt haben, ist nicht zu ändern, um so größer ist ihr haß
gegen den könig und die kreuzzeitungspartey, und einige, nicht Alle, von
ihnen hoffen auf seinen nachfolger. heidelberg, coburg und gotha sind die
lager dieser Partey, in heidelberg wohnen die Patriarchen, in den andern
beyden die Jünger, an thätigkeit, an verbindung, an kommen und gehen
fehlt es beyden nicht, doch halte ich ihre thätigkeit für eine ziemlich un-
fruchtbare.
ganz derselben schule gehört natürlich der alte Welcker an, den ich erst
am letzten tage besuchen konnte, er hatte mich vor kurzem in Wien aufge-
sucht, ohne mich zu finden, und ersuchte mich jetzt, ihm für die neue Bear-
beitung seines staatsrechtslexicons Beyträge zu liefern. Auch eine todtgebo-
rene Arbeit, sie hat zu ihrer Zeit großes geleistet, sie aber jetzt wiederkäuen
zu wollen, characterisirt ganz die Partey, der er angehört.
Als ein frappanter contrast mit diesen männern und als repräsentant
der neuen schule (welche aber leider bis jetzt in deutschland nur wenig
Proselyten zu zählen scheint) erschien mir gustav diezel, welchen ich aus
göppingen nach heidelberg berufen hatte, und der etwa einen tag bey mir
zubrachte, die formen eines ungeschlachten würtembergischen demokra-
ten, aber die gesunden fruchtbaren ideen, die ich von ihm erwartete, selbst
in détails, wo ich dieses kaum erwartet hatte, den mann muß ich für mich
erwerben, ich habe mir von ihm ein Promemoria geben lassen (er übergab es
mir heute auf meiner durchreise durch göppingen), und ich will nun trach-
ten, ihm eine fixe Anstellung in Wien zu geben.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien