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August 1856
Wien 18. August
es sind heute 14 tage, daß ich wieder in Wien bin, gerade lange genug, um
diese langweilige heiße stinkende stadt wieder über und über satt zu bekom-
men, wir haben beynahe die ganze Zeit eine wahrhaft afrikanische, selbst
mir unerträgliche hitze gehabt. meine geschäfte erlauben mir nicht wohl,
mich aufs land zu ziehen, wenigstens wäre dieses mit mancher unbequem-
lichkeit verbunden, und deßhalb habe ich mich bisher zu nichts entschließen
können. vielleicht werde ich es jetzt thun, da ich nun positiv weiß, daß ich
bis Anfang september hier bleiben muß. Wickenburg geht nämlich auf so
lange fort, so daß ich für diese Zeit das Präsidium der Westbahn überneh-
men muß.
ich habe in diesen tagen vollauf zu thun gehabt, bey der Westbahn gab
es ein reglement auszuarbeiten, welches unter andern dingen dazu dienen
sollte, die büreaukratische Allgewalt, welche Wickenburg an sich zu reißen
angefangen hat, zu beschränken, ein unternehmen, welches bey der Zusam-
mensetzung unseres verwaltungsrathes nicht so leicht durchzuführen ist,
indem der größere theil seiner mitglieder aus leuten ohne besondere capa-
cität, stellung und energie besteht, denen eine excellenz noch immer bedeu-
tend imponirt.
nicht weniger zu thun gibt es bey der italienischen gesellschaft, welche
nun endlich in fluß kommen dürfte. da gibt es wieder schwierigkeiten an-
derer Art, und zwar von solcher Bedeutung, daß sie meiner meinung nach
den erfolg des ganzen unternehmens sehr in frage stellen, einestheils die
nicht ganz grundlosen Prätensionen der italienischen mitglieder, welche, da
sie an ort und stelle wohnen und doch gewiß ein größeres interesse an der
sache haben, den schwerpunkt der verwaltung möglichst nach italien zie-
hen möchten, andererseits die filzige schmutzigkeit der gründer, nament-
lich Anselm rothschilds, in allen pekuniären fragen, welche die hiesigen
verwaltungsräthe verstimmt, endlich die Zusammensetzung des hiesigen
conseils, welches größtentheils aus Beamten und nichts weniger als unab-
hängigen Beamten besteht. fery Zichy hat die Präsidentenstelle übernom-
men und scheint auf jeden fall weit mehr dazu geeignet zu seyn als cordon.
Was mich betrifft, so habe ich an der ganzen sache nur ein vorwiegendes
interesse, und dieses ist, diezel bey dem hiesigen centralbureau in einer
bleibenden stellung unterzubringen, damit er vor etwaigen willkürlichen
verfügungen der Polizey gesichert sey und sich dann unter meiner leitung
der Aufgabe widmen könne, welche ich mir für die nächste Zeit gestellt habe.
Würden es meine mittel erlauben, so möchte ich diese nach und nach erwei-
tern und eine größere Anzahl von geschickten brauchbaren leuten hieher
ziehen, welche inmitten unserer elenden Publizistik einen bessern kern bil-
den sollten, und zwar nicht nur in der Politik, sondern ebensosehr in litte-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien