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Tagebücher276
daraus entwickeln wird.1 eines wäre mir höchst unangenehm, und dieses
eine wäre: eine Begnadigung, welche ich gezwungen wäre, mit scheinbarem
danke oder doch wenigstens stillschweigend anzunehmen.
in politicis gibt es eine menge kleine Wetteranzeichen, welche möglicher-
weise viel, möglicherweise aber auch nichts bedeuten können, die zuneh-
menden reibungen mit neapel, die lächerliche drohende stellung Piemonts
erhalten italien in gährung, dann die geschichten in schleswig-holstein,
die Bewegungen in spanien, die verunglückte neufchâteler revolution,2
endlich die schwierigkeiten, auf welche die Ausführung des Pariser friedens
und die innere Beruhigung der türkey stößt, vor Allem aber die beginnende
lösung der westmächtlichen Allianz und die immer sichtbarere hinneigung
frankreichs zu rußland.
ich gehe am 21. auf 8–10 tage nach Paris und bin neugierig, was ich dort
sehen und hören werde, auch mrs. norton, die mir neulich von dort geschrie-
ben hat, und die ich vielleicht dort finden werde, wird mir manches zu erzäh-
len haben.
Bey uns absorbiren die materiellen interessen und unternehmungen alle
Aufmerksamkeit, der schwindel nimmt eher zu als ab, obwol das land und
die Börse übersättiget ist. Bruck hört nicht auf, gesellschaften zu bilden,
Projekte zu machen etc., will übrigens das monopol des schwindelns für sich
behalten und contrecarrirt daher mit leidenschaft und vielleicht unkluger-
weise jedes unternehmen, welches nicht von ihm ausgegangen ist, so z.B.
eben jetzt eine für ungarn zu bildende credit- und hypothekenanstalt.
ob und wie lange dieser Zustand dauern werde? und dauern kann, wird
sich zeigen. Blittersdorf, der nach wenigen tagen und, wie es scheint, un-
verrichteter dinge abreiste, betrachtet, wie er mir sagte, diesen Zustand wie
die letzte Anstrengung eines Banqueroutiers, und gleicher meinung scheint
das solide Ausland größtentheils zu seyn, die schwindler aller länder eilen
natürlich hieher, um schnell noch ein Profitchen zu machen, und die Projek-
temacher aller gattung, auch die honetten, thun dasselbe, so kam neulich
ein alter marquis de st. Amand zu mir, eingeführt durch emil Wimpffen, um
mich aufzufordern, mich an die spitze einer gesellschaft zu stellen, welche
tragbare eisenbahnen auf den bestehenden chausséen anzuwenden vorhat,
etc. Jeden Augenblick gibt es etwas neues dieser Art, und natürlich kommt
1 Zur weiteren entwicklung in dieser frage vgl. eintrag v. 11.10.1856.
2 Anfang september war ein Aufstand der royalisten im schweizer kanton neuenburg, der
seit 1848 eine republikanische verfassung hatte, die jedoch vom preußischen könig als
ehemaligem landesherrn nicht anerkannt wurde, niedergeschlagen worden. die zunächst
inhaftierten Anführer wurden über preußischen druck entlassen. Am 26.5.1857 verzich-
tete schließlich könig friedrich Wilhelm iv. für sich und seine nachfolger auf alle rechte
auf neuenburg.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien