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Jänner 1857
ren Zuständen frankreichs nicht und fühlt, dass in ganz europa nur eine
übertünchte ruhe, ein momentaner Waffenstillstand herrscht, die deut-
schen Zustände, die italienischen, der persisch-englische krieg, die heran-
rückende französisch russische Allianz, Alles dieses und noch mehr ängstigt
die regierungen und die an ihnen, oder doch wenigstens an der ruhe hän-
gen, und bey jedem luftzuge, bey dem Auffliegen eines Pulverthurmes in
neapel oder der ermordung des erzbischofes von Paris1 schrickt die Welt
zusammen.
mittlerweilen feyert der kaiser und die kaiserinn eine Art triumphzug
durch oberitalien, und wenn dabey auch vieles erkünstelt oder erlogen
ist, so scheint im ganzen doch der eindruck ein günstiger zu seyn. Auch
ist nicht zu läugnen, daß die sache ganz geschickt eingefädelt worden ist,
die vielen gnadenakte jeder Art können nicht verfehlen, eine günstige Wir-
kung hervorzubringen, viel trägt wohl auch die schönheit der kaiserinn bey,
und er selbst scheint es zum erstenmahle darauf anzulegen, sich populär zu
machen. Bach, der der einzige war, welcher den Wunsch des kaisers, diese
reise zu unternehmen, unterstützte (freylich auch nur, weil er überhaupt
jeden Wunsch von oben unterstützt), hat durch diesen erfolg nun wieder
oberwasser. er, Buol und Bruck sind vor 10–12 tagen nach mailand abge-
reist, und sie dürften nicht vor ende dieses monats zurückkehren, der hof
nicht vor märz.
radetzky tritt ab, erzherzog ferdinand max soll vicekönig werden,2 und
diese erzherzogswirthschaft, über die man vor 1848 so bitter klagte, nimmt
mehr als je überhand.
die erzherzoginn viceköniginn ist am 25. vorigen monats plötzlich gestor-
ben. Als man sie nur schwer krank wußte, wollte gabrielle mit erzherzogin
marie nach Botzen abreisen, blieb aber dann, als die todesnachricht eintraf,
bey erzherzogin marie in der vorstadt,3 morgen kehrt sie von ihrem mehr-
monatlichen urlaube nach ofen zurück.
fritz taxis ist in venedig gestorben.
1 der Pariser erzbischof marie dominique Auguste sibour war am 3.1.1857 von einem Pries-
ter, über den das interdikt verhängt worden war, ermordet worden. der täter, Jean-louis
verger, wurde am 17. Jänner zum tod verurteilt und am 30. Jänner hingerichtet.
2 erzherzog ferdinand max, der Bruder des kaisers, wurde nachfolger von feldmarschall
graf radetzky als generalgouverneur von lombardo-venetien, der titel eines vizekönigs
(als solcher fungierte erzherzog rainer von 1817 bis zur revolution 1848) lebte nicht wie-
der auf.
3 erzherzogin elisabeth, die gattin des 1853 verstorbenen ehemaligen vizekönigs rainer
d.Ä., war am 25.12.1856 in Bozen gestorben. ihre schwiegertochter erzherzogin maria ka-
rolina (marie), tochter von rainers älterem Bruder karl, war seit 1852 mit ihrem cousin
rainer d.J. verheiratet.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien