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tausend kleine schranken gehemmt ist. dagegen aber kann fast nur die
ehe helfen.
der kaiser kömmt übermorgen zurück, wie es scheint, entzückt von
mailand und überzeugt, die herzen der italiener erobert zu haben, um so
schwieriger wird der stand des neuen generalgouverneurs1 und der dortigen
Behörden seyn, wenn es sich zeigen wird, daß die leute die alten geblie-
ben sind. Wie sollten sie es auch nicht? geändert ist nichts und kann nichts
werden, bis auf die Amnestie, welche einige dutzend verurtheilte getroffen
hat. die hervorragendsten sind und bleiben verbannt, und mit Amnestieen
ist meiner Ansicht nach überhaupt nichts zu erreichen. nun wird ein ähn-
liches spektakel und schaustück für ungarn in die scene gesetzt und wird
scheinbar ebenso gelingen wie in italien, man preßte alle im in- und Aus-
lande wohnenden ungarn, verweigert ihnen Pässe bis nach der kaiserreise,
ruft die mit Pässen Abwesenden zurück etc., und so und mit hundert an-
deren mitteln will man immerhin genug leute zusammentreiben, um dem
kaiser einen scheinbar glänzenden empfang zu bereiten. daß es dabey hie
und da mißtöne und entgegengesetzte demonstrationen (man hört von einer
Adresse um Wiederherstellung der ungarischen verfassung) geben wird, ist
von den ungarn, welche keine italiener sind, zu erwarten. Amnestieen und
gnadenbezeugungen werden natürlich auch da nicht ausbleiben und wohl
eben sowenig hier und in den anderen Provinzen, ich mache mich darauf
gefaßt, daß auch mein interdict aufgehoben werden wird, und zwar höchst
wahrscheinlicher Weise ganz einfach, als ein gnadenakt. ein solcher vor-
gang wird mir aber noch viel unangenehmer seyn als die verurtheilung, und
ich werde dagegen doch nichts thun können, als bey grünne einen mündli-
chen Protest einlegen und die Begnadigung zu ignoriren.
mittlerweilen mühe ich mich hier in einer unerquicklichen und mir wenig
zusagenden thätigkeit ab, und kann dieser nur von einer seite einen erfreu-
licheren gesichtspunkt abgewinnen, nämlich: daß ich mir für die Zukunft
ein feld und eine Waffe und für die gegenwart eine behagliche materielle
existenz (welche auch ein Werkzeug und eine Waffe ist) sichere. der „Wan-
derer“ leistet das nicht, was er sollte, und nicht einmahl ganz das, was ich
erwartete. die desorganisation der Partheyen, die indolenz und politische
unfähigkeit namentlich der klasse, unter denen ich meine freunde und
Anhänger suche, ist so groß, daß ich außer ein paar mittelmäßigen corre-
spondenzen egbert Belcredis bisher noch keinen einzigen Beytrag von dieser
seite erhalten habe. Andererseits ist das redactionspersonale, mit grass an-
gefangen, von der mittelmäßigsten sorte selbst unter der hiesigen Journali-
1 neuer generalgouverneur von lombardo-venetien als nachfolger von feldmarschall graf
radetzky wurde erzherzog ferdinand max, der Bruder des kaisers.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien