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Dezember 1857
sten revolution. es ist so weit gekommen, daß kempen jetzt noch der mann
ist, der am meisten und muthigsten gegen die immer riesenhafter anwach-
sende leidenschaft und unvernunft ankämpft.
ich habe in dieser Zeit mich damit beschäftigt, den Wanderer, welcher über
alle Begriffe schaal und schlecht geworden, in meine hand zu bringen und
diese nun seit einem Jahre dauernde verhandlung endlich zu beendigen.
dazu war vor Allem ein tüchtiger redacteur nothwendig, und hiezu habe ich
diezel ausersehen, ich sprach davon mit kempen, welcher Anfangs sehr gut
gestimmt war und mir hoffnung gab, dann aber mir durch lewinski sagen
ließ, ich möchte in der sache vor der hand keine weiteren schritte thun, in-
dem er für jetzt nicht in der lage wäre, diezel die rückkehr nach oesterreich
zu gestatten. lewinski gab mir dabey zu verstehen, dass die sehr gespannte
stellung kempens ihm jetzt doppelte vorsicht auferlege. ich möchte denn an
Jemand Anderen denken, und da gab mir lewinski selbst den rath, mich
mit einem dr. Weisbrod zu besprechen, der früher redacteur der Allgemei-
nen Zeitung und jetzt bey der oesterreichischen Zeitung beschäftiget war.
das that ich, er gefiel mir, umsomehr als ich niemand sonst wußte und ein
ende machen mußte, und ich schloß mit ihm auf ein Jahr ab, daß er mir von
dieser seite empfohlen worden, war für mich eher ein Beweggrund für als ge-
gen seine Annahme, da ich dadurch quasi eine offizielle sanction dafür hatte,
vollkommen entbehren läßt sich eine solche unter den jetzigen verhältnis-
sen kaum, und wie gesagt ist mir kempen’s Bevormundung jetzt noch lieber
als jede andere. nun waren noch die pecuniären Arrangements mit grass
zu treffen, welche mit einem so unvernünftigen menschen ziemlich schwie-
rig waren und noch nicht ganz zu ende sind, doch hoffe ich, damit in diesen
tagen zu ende zu kommen, sollten sich jedoch (was noch immer möglich ist)
die unterhandlungen in der zwölften stunde zerschlagen, so will ich ganz
éclatant mit dem Wanderer brechen, da ich nicht länger die moralische ver-
antwortlichkeit für die elende, jämmerliche, nergelnde und daher um so mehr
erbitternde richtung desselben tragen will, welche mir, wie mir von mehre-
ren seiten, namentlich auch von Bruck, gesagt wurde, in maßgebenden krei-
sen aufgebürdet wird. die materiellen mittel zur fortführung des unterneh-
mens wenigstens auf ein Jahr sind auf kleyle’s vermittlung mir durch sina
zur verfügung gestellt worden, nachdem ich meinerseits schon viel, beynahe
mehr als in meinen kräften stand, gethan hatte. nebst kleyle steht mir auch
eötvös, der vor einigen Wochen hier war, in dieser sache zur seite, und so bil-
den wir ein ganz tüchtiges trium- oder Quadrumvirat, mit dem sich schon et-
was anfangen läßt. meine böhmischen und mährischen freunde haben mich
wie gewöhnlich im stiche gelassen.
da orges mit der versprochenen und besprochenen Arbeit ausblieb, so
machte ich mich im vorigen monath selbst daran, für die revue des deux
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien