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mondes einen Aufsatz über unsere inneren verhältnisse zu schreiben und
ihn dann auch selbst ins französische zu übersetzen, eine mühselige Arbeit,
womit ich aber zu stande gekommen bin, und die ich in diesen tagen abge-
schickt habe, wir wollen nun sehen, ob und wie sie erscheint, und welchen
eindruck sie hier macht, ich beabsichtige damit einen doppelten: erstlich
auf die machthaber, d.h. den kaiser und seine umgebungen, indem man sie
wieder einmahl die sprache hören läßt, deren sie seit lange entwöhnt sind,
die sprache eines Warners, welcher nicht auf Palliative, auf einzelne flick-
arbeit ausgeht, sondern die Zukunft und die vernunft ins Auge faßt, zwey-
tens auf das trost- und rathlos herumtaumelnde österreichische Publikum,
wenigstens für dasjenige, welches noch für andere als für extreme mittel
empfänglich und zugänglich ist, und die durch ein positives Programm um
eine fahne gesammelt werden sollen, während sie jetzt nichts als fortwäh-
rendes verzweifeln und negiren zu hören bekommen. die französische re-
vue aber habe ich vorzugsweise aus dem grunde gewählt, weil bey uns noch
immer das Wort, das aus der ferne und von einem anscheinend unbetheilig-
ten kömmt, mehr eindruck macht.
mein leben ist übrigens das gewöhnliche, einen großen theil meiner
Abende bringe ich bey meiner guten vortrefflichen gabrielle neuwall zu,
welche mir die liebste und einzige ressource ist, wäre sie nicht, so wäre es
mir doppelt schwer geworden, diese Zeit zu überstehen. samwer war vor ei-
niger Zeit hier und besuchte mich. lesseps, der große suez Agitator, kam
im vorigen monat hier durch und wurde auf Brucks veranlassung durch ein
großes festmahl fetirt, wozu ich auch geladen wurde, doch entschuldigte ich
mich, da ich nicht lust hatte, chorus zu machen um diesen mann, der nicht
viel besser als ein Abentheurer und den engländern persönlich verhaßt, da-
her eigentlich das größte hinderniß des Zustandekommens jenes großen ge-
dankens ist. gräfinn reviczky ist von Paris hier, und ich habe sie ein paar-
mahle besucht.
der tod hat in letzter Zeit viele meiner besten und ältesten Bekannten
weggenommen, so felix Jablonowsky, felix Woyna, Pepi Breuner,1 ida Bom-
belles und in diesen tagen rede.
ich möchte gerne, wenn die umstände es erlauben, nach neujahr auf ein
paar monathe nach italien gehen, um aus dieser Atmosphäre wegzukommen
und mich wieder ein wenig aufzufrischen.
1 graf Josef Breunner war ebenso wie Andrian die kammerherrenwürde entzogen worden.
kurz nach dessen tod am 18.11.1857 hatte Andrian über ein Zusammentreffen Breunners
mit kaiser franz Joseph im August 1857 berichtet, wobei er auf die Aussage des kaisers,
alles sei vergeben und vergessen, geantwortet haben soll, „er möchte doch wissen, was ihm
zu vergeben und zu vergessen sey? ohne aber eine Antwort zu erhalten.“ (Andrian an seine
Schwester Gabriele, 23.11.1857; K. 114, Umschlag 662).
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien