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Tagebücher346
dinge bisher hier festgehalten, namentlich die Westbahn, welcher ich aus
verschiedenen ursachen so wenig als möglich fremd werden will. Wicken-
burg hatte die unglückliche idée gefaßt, nach münchen zu gehen, um wegen
der pachtweisen übernahme der salzburg-kufsteinerstrecke zu unterhan-
deln (die unglücklichste Wahl, die man sich hätte denken können), und ließ
sich zu diesem Behufe uns von dem guten schwerfälligen toggenburg als
unterhändler octroyiren, nun, da diese reise glücklicherweise durch das
peremtorische veto der bayerischen regierung hintertrieben worden ist
(obwohl ich denke, Aufgeschoben ist nicht Aufgehoben), kann ich auf einige
Zeit fort. Am 3. haben wir generalversammlung wegen Aufnahme eines An-
lehens von 15 millionen durch die creditanstalt, welche maßregel uns von
dieser und Bruck (die zusammen etwa 3/5 unserer Actien besitzen) andic-
tirt wurde, da eine Actieneinzahlung ihnen beyden höchst ungelegen fallen
würde. vom standpunkte der regierung aber begreife ich eine solche ope-
ration nicht, indem durch dieses lotterieanleihen von 40 millionen (die ein-
zahlungen auf das nationalanlehen dauern noch über 1 1/2 Jahre fort) die
staatsverwaltung sich ihre letzte resource abgeschnitten hat.1 ich glaube,
Bruck hat mit seinem gewöhnlichen leichtsinn wieder nur an das nächste
gedacht.
das Wetter ist herrlich, kalt (bis 12° r), rein und heiter, vor 8 tagen et-
was, jedoch sehr wenig schnee, die straßen sind noch immer so rein wie im
sommer.
radetzkys leichenfeier, hier am 18., war eine wahre nationale demon-
stration, seit lange wieder etwas erhebendes in diesem sinne, und ich muß
sagen, daß auch der kaiser sie in diesem sinne faßte, er befehligte mit gro-
ßem Anstande den conduct, und es beugte sich die majestät vor dem ver-
dienste.
das Pariser Attentat vom 14. ist das ereigniß des tages2 und wirkt, wie
es scheint, in frankreich tief nach, zum unterschiede von früheren Attenta-
ten, von seite der officiellen Welt ekelhafte, echt französische schwanzwede-
leyen, beym kaiser (der den kopf verloren zu haben scheint) Zornausbrüche
und repressivmaßregeln ins Blaue hinein, im lande unzufriedenheit und
1 gemeint ist wohl die von Andrian am 10.3.1858 erwähnte lotterieanleihe (niedrig oder un-
verzinste Anleihe mit regelmäßiger gewinnverlosung) der credit-Anstalt. der staat selbst
legte 1858 weder eine lotterie- noch eine andere staatsanleihe auf. dagegen wurde zur
Defizitdeckung die Nationalanleihe von 1854 massiv überzogen, bis Ende 1858 erfolgte der
verkauf von weiteren obligationen, vor allem über das Pariser Bankhaus rothschild, in
der höhe von nominal 100 mill. gulden.
2 Am 14.1.1858 wurde vor der Pariser oper ein Bombenattentat auf kaiser napoleon iii.
verübt. über 140 Personen wurden dabei getötet bzw. verletzt, der kaiser selbst blieb un-
verletzt.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien