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»Ach ja«, sagte Georg, »eine Freundin von Ihnen.«
»Freundin möcht ich sie nicht nennen; das setzt doch eine gewisse innere
Übereinstimmung voraus, die nicht mehr so recht vorhanden ist.«
»Sie werden Therese doch nicht verleugnen«, sagte Doktor Berthold
lächelnd, aber herb.
»O nein«, erwiderte Anna lebhaft, »das fällt mir wahrhaftig nicht ein. Ich
bewundere sie sogar. Ich bewundere überhaupt alle Leute, die imstande sind,
für etwas, was sie im Grunde nichts angeht, so viel zu riskieren. Und wenn
das nun gar ein junges Mädchen tut, ein hübsches junges Mädchen wie
Therese… «, sie richtete die Worte an Georg, der gespannt zuhörte – »so
imponiert mir das noch mehr. Sie müssen nämlich wissen, daß Therese eine
der Führerinnen der sozialdemokratischen Partei ist.«
»Und wissen Sie, wofür ich sie gehalten habe?« sagte Georg. »Für eine
angehende Schauspielerin!«
»Herr Baron, Sie sind ein Menschenkenner«, sagte Berthold.
»Sie wollte wirklich einmal zur Bühne gehen«, bestätigte Frau Rosner
kühl.
»Ich bitte Sie, gnädige Frau«, sagte Berthold, »welches junge Mädchen von
einiger Phantasie, das überdies in engen Verhältnissen lebt, hat nicht in irgend
einer Lebensepoche mit einer solchen Absicht wenigstens gespielt?«
»Es ist hübsch, daß Sie ihr verzeihen«, sagte Anna lächelnd.
Berthold fiel es zu spät ein, daß er mit seiner Bemerkung eine noch
empfindliche Stelle in Annas Gemüt berührt haben mochte. Aber um so
bestimmter fuhr er fort: »Ich versichere Sie, Fräulein Anna, es wäre schade
um Therese gewesen. Denn es ist gar nicht abzusehen, wieviel sie für die
Partei noch leisten kann, wenn sie nicht irgendwie aus ihrer Bahn gerissen
wird.«
»Halten Sie das für möglich?« fragte Anna.
»Gewiß«, entgegnete Berthold. »Für Therese gibt es sogar zwei Gefahren:
entweder redet sie sich einmal um den Kopf… «
»Oder?« fragte Georg, der neugierig geworden war.
»Oder sie heiratet einen Baron«, schloß Berthold kurz.
»Das verstehe ich nicht ganz«, sagte Georg ablehnend.
»Daß ich gerade Baron sagte, war natürlich ein Spaß. Setzen wir statt
Baron Prinz, so wird die Sache klarer.«
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik