Seite - 23 - in Der Weg ins Freie
Bild der Seite - 23 -
Text der Seite - 23 -
»Und darf man wissen… ?« fragte Georg.
Berthold sah ihn durchdringend und doch zerstreut an. Dann erwiderte er
verbindlich: »Gewiß darf man. Nach meiner Rede begab ich mich ins Büfett.
Dort begegnete ich unter andern einem der allerdümmsten und frechsten
unserer freigewählten Volksvertreter, dem, der wie gewöhnlich, auch während
meiner Rede, der Allerlauteste gewesen war… dem Papierhändler Jalaudek.
Ich kümmerte mich natürlich nicht um ihn. Er stellt eben sein geleertes Glas
hin. Wie er mich sieht, lächelt er, nickt mir zu und grüßt heiter, als wäre nichts
geschehen: »Habe die Ehre, Herr Doktor, auch eine kleine Erfrischung
gefällig?«
»Unglaublich!« rief Georg aus.
»Unglaublich?… Nein, österreichisch. Bei uns ist ja die Entrüstung so
wenig echt wie die Begeisterung. Nur die Schadenfreude und der Haß gegen
das Talent, die sind echt bei uns.«
»Nun, und was haben Sie dem Mann geantwortet?« fragte Anna.
»Was ich geantwortet habe? Nichts, selbstverständlich.«
»Und haben Ihr Mandat niedergelegt«, ergänzte Anna mit leisem Spott.
Berthold lächelte. Zugleich aber zuckte es um seine Brauen wie
gewöhnlich, wenn er unangenehm oder schmerzlich berührt war. Es war zu
spät, ihr zu sagen, daß er eigentlich gekommen war, sie um Rat zu fragen wie
in früherer Zeit. Und doch, das fühlte er, er hatte klug daran getan, sich gleich
beim Eintritt jeden Rückzug abzuschneiden, seinen Verzicht auf das Mandat
als bereits vollzogen, seine Reise nach Paris als unmittelbar bevorstehend
anzukündigen. Denn nun wußte er ja, daß Anna ihm wieder einmal entglitten
war, vielleicht auf lange. Daß irgend ein Mensch sie ihm wirklich und auf
immer nehmen konnte, das glaubte er freilich nicht, und auf diesen eleganten,
jungen Künstler eifersüchtig zu sein, der so ruhig mit verkreuzten Armen dort
am Fenster stand, dazu wollte er sich auf keinen Fall verstehen. Schon
manchmal war es geschehen, daß Anna für einige Zeit wie in einem für ihn
fremden Element gleichsam verzaubert dahinschwebte. Und vor zwei Jahren,
da sie ernstlich daran dachte, sich der Bühne zu widmen und ihre Rollen zu
studieren begann, hatte er sie eine kurze Zeit hindurch völlig verloren
gegeben. Später, als sie durch die Unverläßlichkeit ihrer Stimme genötigt
wurde, ihre künstlerischen Pläne fahren zu lassen, schien sie wohl wieder zu
ihm zurückzukehren; aber diese Epoche hatte er mit Absicht ungenutzt
verstreichen lassen. Denn eh’ er sie zu seiner Gattin machte, wollte er irgend
einen Erfolg errungen haben, entweder auf wissenschaftlichem oder
politischem Gebiet, und von ihr wahrhaft bewundert sein. Er war auf dem
23
zurück zum
Buch Der Weg ins Freie"
Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik