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ganzen, ein wenig untersetzten, ja hochschultrigen Erscheinung eine gewisse
Würde. Die Augen, wenn sie nicht eben mit einiger Absicht gütig oder klug
schauten, schienen sich hinter den müd gewordenen Lidern gleichsam für den
nächsten Blick auszuruhen.
»Ich habe Ihre Mutter gekannt, Herr Baron«, sagte er ziemlich leise zu
Georg.
»Meine Mutter, Herr Doktor… ?«
»Sie werden sich kaum daran erinnern. Sie waren damals ein kleiner Bub
von drei, vier Jahren.«
»Sie waren ihr Arzt?« fragte Georg.
»Ich besuchte sie zuweilen als Vertreter des Professors Duchegg, bei dem
ich Assistent war. Sie haben damals in der Habsburgergasse gewohnt, in
einem alten Haus, das längst niedergerissen ist. Ich könnte Ihnen heute noch
die Einrichtung des Zimmers schildern, in dem Ihr Herr Vater mich
empfing… der leider auch allzufrüh gestorben ist… Auf dem Schreibtisch
stand eine Bronzefigur und zwar ein gepanzerter Ritter mit einer Fahne. Und
an der Wand hing eine Kopie nach einem Van Dyck aus der
Liechtensteingalerie.«
»Ja«, sagte Georg verwundert über das gute Gedächtnis des Arztes, »ganz
richtig.«
»Aber ich habe da die Herrschaften in einem Gespräch unterbrochen«, fuhr
Doktor Stauber fort, in dem ein wenig melancholisch singenden und doch
überlegenen Ton, der ihm eigen war, und ließ sich in die Ecke des Divans
sinken.
»Eben teilt uns Doktor Berthold zu unserm Erstaunen mit«, sagte Herr
Rosner, »daß er sich entschlossen hat, sein Mandat niederzulegen.«
Der alte Stauber richtete einen ruhigen Blick auf seinen Sohn, den dieser
ebenso ruhig erwiderte. Georg, der dies Augenspiel bemerkte, hatte den
Eindruck, daß hier ein stilles Einverständnis waltete, das keiner Worte
bedurfte.
»Ja«, sagte Doktor Stauber, »mich hat es allerdings nicht überrascht. Ich
habe immer das Gefühl gehabt, daß Berthold im Parlament nur wie zu Gaste
sitzt, und bin eigentlich froh, daß er nun eine Art von Heimweh nach seinem
wahren Beruf bekommen hat. Ja, ja, dein wahrer, Berthold«, wiederholte er
wie zur Antwort auf ein Stirnrunzeln seines Sohnes. »Damit ist ja nichts für
die Zukunft präjudiziert. Nichts erschwert uns die Existenz so sehr, als daß
wir so häufig an Definitiva glauben… und daß wir die Zeit damit verlieren,
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik