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bis zu diesem Abend mit Anna auch in Gedanken kaum beschäftigt hatte.
Jene Worte, vielleicht nur einem flüchtigen Einfall der Frau Ehrenberg
entsprungen, wurden im weiteren Verlauf des Abends wahr. Von dem
Augenblick an, da die Gesellschaft aufbrach und ihre fidele Reise durch den
Volksprater antrat, überall, in den Buden, im Ringelspiel, vor dem Wurstel
und auch auf dem Heimweg in die Stadt, der spaßhafter Weise zu Fuß
gemacht wurde, hatten sich Georg und Anna zusammen gehalten und waren
endlich, von lustigen und törichten Gesprächen umschwirrt, in eine ganz
vernünftige Unterhaltung geraten. Ein paar Tage später war er bei ihr und
brachte ihr, wie versprochen, den Klavierauszug von »Eugen Onegin« und
einige von seinen Liedern; bei seinem nächsten Besuch sang sie ihm diese
Lieder und manche von Schubert vor, und ihre Stimme gefiel ihm sehr. Bald
darauf nahmen sie für den Sommer voneinander Abschied, ohne jede Spur
von Wehmut und Zärtlichkeit; Annas Einladung nach Weißenfeld hatte Georg
nur als Höflichkeit aufgefaßt, so wie er seine Zusage verstanden glaubte; und
im Vergleich zu der Harmlosigkeit des bisherigen Verkehrs durfte die
Stimmung des heutigen Besuchs Georg wohl eigentümlich erscheinen.
Auf dem Stephansplatz sah sich Georg von jemandem gegrüßt, der auf der
Plattform eines Stellwagens stand. Georg, der etwas kurzsichtig war, erkannte
den Grüßenden nicht gleich.
»Ich bins«, sagte der Herr auf der Plattform.
»O, Herr Bermann! Guten Abend«, Georg reichte ihm die Hand hinauf.
»Wohin des Wegs?«
»Ich fahre in den Prater. Ich will unten nachtmahlen. Haben Sie etwas
besondres vor, Herr Baron?«
»Nicht das geringste.«
»So kommen Sie doch mit.«
Georg schwang sich auf den Omnibus, der eben weiterzurumpeln begann.
Sie erzählten einander beiläufig, wie sie den Sommer verbracht hatten.
Heinrich war im Salzkammergut gewesen, später in Deutschland, von wo er
erst vor ein paar Tagen zurückgekommen war.
»Ach in Berlin«, meinte Georg.
»Nein.«
»Ich dachte, daß Sie vielleicht in Angelegenheit eines neuen Stückes… «
»Ich habe kein neues Stück geschrieben«, unterbrach ihn Heinrich etwas
unhöflich. »Ich war im Taunus und am Rhein, in verschiedenen Orten.«
Was hat er denn am Rhein zu tun, dachte Georg, obwohl es ihn nicht weiter
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik