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interessierte. Es fiel ihm auf, daß Bermann zerstreut, ja beinahe verdüstert vor
sich hinschaute.
»Und wie steht’s denn mit Ihren Arbeiten, lieber Baron?« fragte Heinrich
plötzlich lebhaft, während er den dunkelgrauen Überzieher, der ihm um die
Schulter hing, enger um sich schlug. »Ist Ihr Quintett fertig?«
»Mein Quintett?« wiederholte Georg verwundert. »Hab’ ich Ihnen denn
von meinem Quintett gesprochen?«
»Nein, nicht Sie; aber Fräulein Else sagte mir, daß Sie an einem Quintett
arbeiten.«
»Ach so, Fräulein Else. Nein, ich bin nicht viel weiter gekommen. Ich war
nicht gerade in der Stimmung, wie Sie sich denken können.«
»Ach ja«, sagte Heinrich und schwieg eine Weile. »Und Ihr Herr Vater war
noch so jung«, fügte er langsam hinzu.
Georg nickte wortlos.
»Wie geht’s Ihrem Bruder?« fragte Heinrich plötzlich.
»Danke recht gut«, erwiderte Georg etwas befremdet. Heinrich warf seine
Zigarre über die Brüstung und zündete sich gleich wieder eine neue an. Dann
sagte er: »Sie werden sich wundern, daß ich mich nach Ihrem Bruder
erkundige, den ich kaum jemals gesprochen habe. Er interessiert mich aber.
Er stellt für mich einen in seiner Art geradezu vollendeten Typus dar, und ich
halte ihn für einen der glücklichsten Menschen, die es gibt.«
»Das mag wohl sein«, erwiderte Georg zögernd. »Aber wie kommen Sie
eigentlich zu der Ansicht, da Sie ihn kaum kennen?«
»Erstens heißt er Felician Freiherr von Wergenthin-Recco«, sagte Heinrich
sehr ernst und blies den Rauch in die Luft.
Georg horchte mit einigem Erstaunen auf.
»Sie heißen wohl auch Wergenthin-Recco«, fuhr Heinrich fort, »aber nur
Georg – und das ist lang nicht dasselbe, nicht wahr? Ferner ist Ihr Bruder sehr
schön. Sie schauen allerdings auch nicht übel aus. Aber Leute, deren
hauptsächliche Eigenschaft es ist, schön zu sein, sind doch eigentlich viel
besser dran als andre, deren hauptsächliche Eigenschaft es ist, begabt zu sein.
Wenn man nämlich schön ist, so ist man es immer, während die Begabten
doch mindestens neun Zehntel ihrer Existenz ohne jede Spur von Talent
verbringen. Ja, gewiß ist es so. Die Linie des Lebens ist sozusagen reiner,
wenn man schön als wenn man ein Genie ist. Übrigens ließe sich das alles
besser ausdrücken.«
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik