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Was hat er denn, dachte Georg unangenehm berührt. Sollte er vielleicht auf
Felician eifersüchtig sein… wegen Else Ehrenberg?
Auf dem Praterstern stiegen sie aus. Der große Strom der Sonntagsmenge
flutete ihnen entgegen. Sie nahmen den Weg in die Hauptallee, wo es nicht
mehr belebt war, und gingen langsam weiter. Es war kühl geworden. Georg
machte Bemerkungen über die herbstliche Abendstimmung, über die Leute,
die in den Wirtshäusern saßen, über die Militärkapellen, die in den Kiosken
spielten. Heinrich entgegnete anfangs obenhin, später gar nicht und schien
endlich kaum zuzuhören, was Georg ungezogen fand. Er bereute es beinahe,
sich Heinrich angeschlossen zu haben, umsomehr, als es sonst gar nicht seine
Art war, flüchtigen Aufforderungen ohne weiteres zu folgen; und er
entschuldigte sich vor sich selbst, daß er es diesmal nur aus Zerstreutheit
getan hätte. Heinrich ging neben ihm her, oder auch ein paar Schritte voraus,
als hätte er Georgs Anwesenheit vollkommen vergessen. Noch immer hielt er
den umgehängten Überzieher mit beiden Händen fest, trug den weichen,
dunkelgrauen Hut in die Stirn gedrückt und sah, was Georg plötzlich
empfindlich zu stören begann, höchst unelegant aus. Heinrich Bermanns
frühere Bemerkungen über Felician kamen ihm nun abgeschmackt und
geradezu taktlos vor, und zu rechter Zeit fiel ihm ein, daß so ziemlich alles,
was er von den schriftstellerischen Leistungen Heinrichs kannte, ihm wider
den Strich gegangen war. Zwei Stücke von ihm hatte er gesehen: eines, das in
den untern Volksschichten spielte, unter Handwerkern oder Fabrikarbeitern
und mit Mord und Totschlag endete; das andere, eine Art von satirischer
Gesellschaftskomödie, bei deren Erstaufführung es einen Skandal gegeben
hatte, und die bald wieder vom Repertoire verschwunden war. Übrigens hatte
Georg den Autor damals noch nicht persönlich gekannt und an der ganzen
Sache kein weiteres Interesse genommen. Er erinnerte sich nur, daß Felician
das Stück geradezu lächerlich gefunden und daß Graf Schönstein geäußert
hatte, wenn es nach ihm ginge, dürften Stücke von Juden überhaupt nur von
der Budapester Orpheumsgesellschaft aufgeführt werden. Insbesondere aber
hatte Doktor von Breitner, getauft und objektiv, seiner Empörung Ausdruck
gegeben, daß so ein hergelaufener junger Mensch eine Welt auf die Bühne zu
bringen wagte, die ihm selbstverständlich verschlossen war und von der er
daher unmöglich etwas verstehen konnte. Während Georg all dies wieder
einfiel, steigerte sich sein Ärger über das manierlose Weiterlaufen und
beharrliche Schweigen seines Begleiters zu einer wahren Feindseligkeit, und
halb unbewußt begann er allen Insulten recht zu geben, die damals gegen
Bermann vorgebracht worden waren. Er erinnerte sich jetzt auch, daß ihm
Heinrich von allem Anfang an persönlich unsympathisch gewesen war, und
daß er sich zu Frau Ehrenberg ironisch über die Geschicklichkeit geäußert,
mit der sie auch diesen jungen Ruhm sofort für ihren Salon einzufangen
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik