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ich ›wir‹ sage… «
»O, ich habe schon ganz ähnliches empfunden. Freilich hatte ich noch nicht
Gelegenheit, der Öffentlichkeit so oft und so exportiert gegenüberzustehen,
wie Sie.«
»Nun wenn auch… ganz das Gleiche wie ich werden Sie doch niemals
durchzumachen haben.«
»Warum denn?« fragte Georg ein wenig gekränkt.
Heinrich sah ihm scharf ins Auge. »Sie sind der Freiherr von Wergenthin-
Recco.«
»O darum! Ich bitte Sie, es gibt heutzutage eine ganze Menge Leute, die
gerade deswegen gegen einen voreingenommen sind – und es einem
gelegentlich vorzuhalten wissen, daß man Baron ist.«
»Ja, ja, aber es liegt doch ein anderer Ton darin, das werden Sie mir
zugeben, und auch ein anderer Sinn, wenn man einem den Freiherrn, als wenn
man einem den Juden ins Gesicht schleudert, obzwar das letztere bisweilen…
Sie verzeihen schon… der bessere Adel sein mag. Nun, Sie brauchen mich
nicht so mitleidig anzuschauen«, setzte er plötzlich grob hinzu. »Ich bin nicht
immer so empfindlich. Es gibt auch andre Stimmungen, in denen mir
überhaupt nichts und niemand etwas anhaben kann. Da hab ich nur dieses
eine Gefühl: was wißt Ihr denn alle, was wißt Ihr denn von mir… «
Er schwieg, stolz, mit einem höhnischen Blick, der sich durch das
Blätterwerk der Laube ins Dunkle bohrte. Dann wandte er den Kopf, sah
ringsumher und sagte einfach, in einem neuen Ton, zu Georg: »Sehen Sie
doch, wir sind bald die einzigen.«
»Es wird auch recht kühl«, sagte Georg.
»Ich denke, wir bummeln noch ein wenig durch den Prater.«
»Gern.«
Sie erhoben sich und gingen. Auf einer Wiese, an der sie vorüberkamen,
lag feiner, grauer Nebel.
»Bis in die Nacht hält die Sommerlüge doch nicht mehr an. Nun wird es
bald endgültig vorbei sein«, sagte Heinrich mit unverhältnismäßiger
Bedrücktheit, und wie zum eigenen Trost fügte er hinzu: »Nun, man wird
arbeiten.«
Sie kamen in den Wurstelprater. Aus den Gasthäusern tönte Musik, und
Georg teilte sich sofort etwas von der fröhlich-lauten Stimmung mit, in die er
nun mit einem Male aus den Traurigkeiten eines herbstlichen
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik