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»Die Kleine«, sagte Oskar Ehrenberg zu Georg, während Amy mit
Heinrich vorausging, »die ahnt auch nicht, daß wir heute das letztemal
zusammen im Prater spazieren gehen.«
»Warum denn das letztemal?« fragte Georg ohne tieferes Interesse.
»Es muß sein«, erwiderte Oskar. »Solche Sachen dürfen nicht länger
dauern als höchstens ein Jahr. Sie können sich übrigens vom Dezember an bei
ihr Ihre Handschuhe kaufen«, fügte er heiter, aber nicht ohne Wehmut hinzu.
»Ich richte ihr nämlich ein kleines Geschäft ein. Das bin ich ihr
gewissermaßen schuldig, denn ich hab sie aus einer ziemlich sichern Situation
herausgerissen.«
»Aus einer sichern?«
»Ja, sie war verlobt. Mit einem Etuimacher. Haben Sie gewußt, daß es das
gibt?«
Indessen war Amy und Heinrich vor einer Wendeltreppe stehen geblieben,
die eng und kühn zu einem Plateau hinaufführte, und erwarteten die andern.
Alle waren darüber einig, daß man den Prater nicht verlassen durfte, ohne auf
der Rutschbahn gefahren zu sein.
Sie sausten durchs Dunkel, hinab und wieder hinauf, im dröhnenden
Wagen, unter schwarzen Wipfeln; und dem dumpf rhythmischen Lärm
entklang für Georg allmählich ein groteskes Motiv im Dreivierteltakt.
Während er mit den andern die Wendeltreppe hinabstieg, wußte er auch
schon, daß die Melodie von Oboe und Klarinette gebracht und von Cello und
Kontrabaß begleitet werden müsse. Offenbar war es ein Scherzo, vielleicht für
eine Symphonie.
»Wenn ich ein Unternehmer wäre«, erklärte Heinrich mit Entschiedenheit,
»so ließ ich eine Rutschbahn bauen, viele Meilen lang, die ginge über Wiesen,
Abhänge, durch Wälder, Tanzsäle; auch für Überraschungen auf dem Weg
wäre gesorgt.« Jedenfalls, so fand er weiter, wäre nun die Zeit gekommen, das
phantastische Element im Wurstelprater zu höherer Entfaltung zu bringen. Er
selbst hätte vorläufig die Idee für ein Ringelspiel, das sich hoch und durch
einen merkwürdigen Mechanismus, spiralig immer höher über den Erdboden
drehen müsse, um endlich in einer Art von Turmspitze anzulangen. Leider
mangelten ihm die notwendigen technischen Vorkenntnisse zur näheren
Erklärung. Im Weitergehen erfand er burleske Figuren und Gruppen für die
Schießbuden und sprach endlich die dringende Forderung nach einem
großartigen Kasperltheater aus, für das originelle Dichter tiefsinnig-heitere
Stücke entwerfen müßten.
So war man an den Ausgang des Praters gelangt, wo Oskars Wagen
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik