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und ein stilles »es war schön«. Und leichter noch war ihm zumute geworden,
als sie ihm bei der nächsten Begegnung mit einfach innigem Gruß
entgegenkam, ohne die befangenen Töne anschmiegender Wehmut, oder
erfüllten Schicksals, wie er sie in den Worten mancher andern beben gehört
hatte, die zu einem solchen Morgen nicht zum erstenmal erwacht war.
Eine mattgezogene Berglinie erschien in der Ferne und verschwand wieder,
als die Straße durch dichtern Waldstand in die Höhe führte. Laub- und
Nadelholz wuchsen friedlich nebeneinander, und durch die stillere Farbe der
Tannen schimmerte das herbstlich gefärbte Blätterwerk von Buchen und
Birken. Wanderer zeigten sich, einige mit Rucksack, Bergstock und
Nagelschuhen wie zu bedeutenden Gebirgstouren ausgerüstet; zuweilen, in
beglückter Schnelle, sausten Radfahrer die Straße hinab.
Heinrich erzählte seinem Gefährten von einer Radfahrt, die er anfangs
September unternommen hatte, den Rhein entlang.
»Ist es nicht sonderbar«, sagte Georg, »so viel bin ich schon in der Welt
herumgekommen, und die Gegend, wo meine Ahnen zu Hause waren, kenn
ich noch gar nicht.«
»Wirklich?« fragte Heinrich. »Und es regt sich gar nicht in Ihnen, wenn Sie
das Wort Rhein aussprechen hören?«
Georg lächelte. »Es sind immerhin bald hundert Jahre, daß meine
Urgroßeltern aus Biebrich fortgezogen sind.«
»Warum lächeln Sie, Georg? Daß meine Ahnen aus Palästina fortgewandert
sind, ist noch viel länger her, und doch fordern manche, sonst ganz logische
Leute, daß mein Herz in Heimweh nach diesem Lande bebe.«
Georg schüttelte ärgerlich den Kopf. »Was kümmern Sie sich immerfort um
diese Leute. Es wird wirklich schon zur fixen Idee bei Ihnen.«
»Ach Sie glauben, ich denke an die Antisemiten? Durchaus nicht. Denen
nehm ichs auch weiter nicht übel, manchmal wenigstens. Aber fragen Sie nur
einmal unsern Freund Leo, wie er über diese Angelegenheit denkt.«
»Ach so, den meinen Sie. Na, der faßt doch das nicht so wörtlich auf,
sondern gewissermaßen symbolisch – – – oder politisch«, setzte er unsicher
hinzu.
Heinrich nickte. »Diese beiden Begriffe liegen vielleicht hart
nebeneinander in Köpfen solcher Art.« Er versank für eine Weile in
Nachdenken, schob sein Rad in leichten, ungeduldigen Stößen vorwärts und
war gleich wieder um ein paar Schritte voraus. Dann begann er wieder von
seiner Septemberreise zu sprechen. Beinahe mit Ergriffenheit dachte er an sie
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik