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gedeutet zu hören, die, ebenso unerbittlich wie diejenigen, nach denen sich
Erde und Sterne drehten, mit jenen ewigen aus gleicher Wurzel stammen
sollten. Nur wenn Heinrich die Theorien Leos weiterzuführen und
gelegentlich auf Schöpfungen der Wortkunst anzuwenden suchte, wurde
Georg ungeduldig und fühlte sich sofort als stillen Verbündeten Leos, der zu
Heinrichs phantastischen und wirren Ausführungen mild zu lächeln pflegte.
Das Essen wurde aufgetragen, und die jungen Leute ließen sichs
schmecken; Heinrich nicht weniger als die andern, trotzdem er sich über die
Minderwertigkeit der Küche höchst mißbilligend äußerte und das Vorgehen
des Wirts nicht nur als Ausdruck persönlich niedriger Gesinnung, sondern als
charakteristisch für den Niedergang Österreichs auf vielen andern Gebieten
aufzufassen geneigt war. Das Gespräch kam auf die militärischen Zustände
des Landes, und Leo gab Schilderungen von Kameraden und Vorgesetzten
zum besten, über die die beiden andern sich sehr amüsierten. Insbesondere ein
Oberleutnant gab zur Heiterkeit Anlaß, der sich der Freiwilligenabteilung mit
den gefahrverkündenden Worten vorgestellt hatte: »Mit mir wern S’ nix zu
lachen haben, ich bin eine Bestie in Menschengestalt.«
Während sie noch aßen, trat ein Herr an den Tisch, schlug die Hacken
aneinander, legte die Hand salutierend an die Radfahrkappe, grüßte mit einem
scherzhaften »all Heil«, fügte für Leo noch ein kameradschaftliches »servus«
hinzu und stellte sich Heinrich vor: »Josef Rosner ist mein Name«. Hierauf
begann er jovial die Unterhaltung mit den Worten: »Die Herren machen auch
eine Radpartie… « Da man nicht widersprach, fuhr er fort: »Die letzten
schönen Tage muß man benützen, lange wird ja die Herrlichkeit nicht mehr
dauern.«
»Wollen Sie nicht Platz nehmen, Herr Rosner?« fragte Georg höflich.
»Küß die Hand, aber… «, er wies auf seine Gesellschaft… »wir sind
soeben im Aufbruch begriffen, haben noch viel vor, fahren bis Tulln hinunter
und dann über Stockerau nach Wien. Die Herren erlauben… « er nahm ein
Zündhölzchen vom Tisch und brannte seine Zigarette vornehm an.
»Bei was für einem Klub bist du denn eigentlich?« fragte Leo, und Georg
wunderte sich über das »du«, bis ihm einfiel, daß die beiden Jugendbekannte
waren.
»Das ist der Sechshauser Radfahrklub«, erwiderte Josef. Obzwar kein
Staunen geäußert wurde, setzte er hinzu: »Die Herren werden sich wundern,
daß ich als Margaretner Kind diesem vorortlichen Klub angehöre, aber es ist
auch nur, weil ein guter Freund von mir dort Obmann ist. Sehen Sie dieser
Dicke dort, der jetzt gerade in den Rock hineinschlieft. Es ist nämlich der
junge Jalaudek, der Sohn von dem Stadtrat und Abgeordneten.«
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik