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Der Weg ins Freie
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zwischen dem eingeborenen Bewußtsein, daheim zu sein, wo sie lebten und wirkten, und der Empörung, sich eben da verfolgt und beschimpft zu sehen; wie gerade ihnen zwischen Trotz und Ermattung das Gefühl ihres Daseins, ihres Wertes und ihrer Rechte sich verwirren mußte. Zum erstenmal begann ihm die Bezeichnung Jude, die er selbst so oft leichtfertig, spöttisch und verächtlich im Mund geführt hatte, in einer ganz neuen gleichsam düstern Beleuchtung aufzugehen. Eine Ahnung von dieses Volkes geheimnisvollem Los dämmerte in ihm auf, das sich irgendwie in jedem aussprach, der ihm entsprossen war; nicht minder in jenen, die diesem Ursprung zu entfliehen trachteten wie einer Schmach, einem Leid oder einem Märchen, das sie nichts kümmerte, – als in jenen, die mit Hartnäckigkeit auf ihn zurückwiesen, wie auf ein Schicksal, eine Ehre oder eine Tatsache der Geschichte, die unverrückbar feststand. Und als er sich in den Anblick der beiden Sprechenden verlor und ihre Gestalten betrachtete, die sich mit scharf gezogenen, heftig bewegten Linien von dem rötlich-violetten Himmel abzeichneten, fiel es ihm nicht zum ersten Male auf, daß Heinrich, der darauf bestand, hier daheim zu sein, in Figur und Geste einem fanatischen, jüdischen Prediger glich, während Leo, der mit seinem Volk nach Palästina ziehen wollte, in Gesichtsschnitt und Haltung ihn an die Bildsäule eines griechischen Jünglings erinnerte, die er einmal im Vatikan oder im Museum von Neapel gesehen hatte. Und wieder einmal, während sein Auge Leos lebhaften und edeln Bewegungen mit Vergnügen folgte, begriff er sehr wohl, daß Anna für den Bruder ihrer Freundin vor Jahren, in jenem Sommer am See, eine schwärmerische Neigung empfunden hatte. Immer noch standen Heinrich und Leo einander auf der Wiese gegenüber, und ins Unentwirrbare verlor sich ihr Gespräch. Die Sätze stürmten ineinander hinein, verkrampfen sich ineinander, schossen aneinander vorbei, gingen ins Leere; – und in irgend einem Augenblick merkte Georg, daß er nur mehr den Klang der Reden hörte, ohne ihrem Inhalt folgen zu können. Ein kühler Wind kam von der Ebene her, und Georg erhob sich leicht erschauernd vom Rasen. Die andern, die seine Anwesenheit beinahe vergessen hatten, waren dadurch zur Gegenwart zurückgerufen, und man beschloß aufzubrechen. Noch leuchtete der volle Tag über der Landschaft, aber die Sonne ruhte dunkelrot und matt über einer länglich gestreckten Abendwolke. Während er seinen Mantel aufs Rad schnallte, sagte Heinrich: »Nach solchen Gesprächen bleibt mir immer eine Unbefriedigung, die sich geradezu bis zu einem wehen Gefühl in der Magengegend steigert. Ja wirklich. Sie führen so gar nirgends hin. Und was bedeuten überhaupt politische Ansichten 85
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Der Weg ins Freie
Titel
Der Weg ins Freie
Autor
Arthur Schnitzler
Datum
1908
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
306
Schlagwörter
Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1 2
  2. Kapitel 2 49
  3. Kapitel 3 75
  4. Kapitel 4 93
  5. Kapitel 5 125
  6. Kapitel 6 181
  7. Kapitel 7 212
  8. Kapitel 8 222
  9. Kapitel 9 255
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