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Heim‹.«
»Na ja«, sagte Georg, legte Annas Boa über eine Sessellehne und strich
zerstreut mit den Fingern über das Pelzwerk hin. Annas Bemerkung, aus der
es, und nicht zum erstenmal, wie ein leiser Vorwurf gegen ihn herausklang,
hatte ihn nicht angenehm berührt. Sie setzte sich auf den Diwan, führte die
Hände an die Schläfen, strich leicht über das dunkelblonde, gewellte Haar
nach rückwärts und blickte Georg lächelnd an. Er, beide Hände in den
Saccotaschen, stand an die Kommode gelehnt und begann von dem gestrigen
Abend zu erzählen, den er mit Guido und der Violinspielerin verbracht hatte.
Seit einigen Wochen nahm die junge Dame, auf des Grafen Wunsch, bei dem
Beichtvater einer Erzherzogin katholischen Religionsunterricht; sie ihrerseits
hielt Guido an, Nietzsche und Ibsen zu lesen. Doch war als Resultat dieses
Studiums, nach Georgs Bericht, bisher nichts anderes zu verzeichnen, als daß
der junge Graf seine Geliebte nach jener wunderlichen Gestalt aus »Klein
Eyolf« scherzhafterweise Rattenmamsell zu nennen pflegte.
Anna wußte über den gestrigen Abend wenig Heiteres mitzuteilen. Sie
hatten Besuch gehabt. »Zuerst«, erzählte Anna, »die zwei Cousinen von
Mama, dann ein Bureaukollege von Papa zum Tarokspielen. Auch Josef hat
sich der Häuslichkeit ergeben, ist auf dem Diwan gelegen von drei bis fünf,
dann ist sein neuester Spezi gekommen, Herr Jalaudek, der mir erheblich den
Hof gemacht hat.«
»So, so.«
»Er war berückend. Ich sage nur: eine violette Krawatte mit gelben Tupfen,
da kannst du dich verstecken. Übrigens hat er mir den ehrenvollen Antrag
überbracht, in einer sogenannten Akademie beim ›wilden Mann‹, zugunsten
des Währinger Kirchenbauvereins mitzuwirken.«
»Du hast natürlich zugesagt.«
»Ich habe mich mit meinem Mangel an Stimme und an Frömmigkeit
entschuldigt.«
»Na was die Stimme anbelangt… «
Sie unterbrach ihn. »Nein, Georg«, sagte sie leicht, »die Hoffnung hab ich
endgültig aufgegeben.«
Er sah sie an und suchte in ihrem Blick, der aber klar und frei blieb. Leise
und dumpf klang die Orgel aus der Kirche herüber.
»Ja richtig«, sagte Georg, »das Billett für morgen zu ›Carmen‹ hab ich dir
mitgebracht.«
»Dank schön«, erwiderte sie und nahm die Karte entgegen. »Gehst du
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik