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unter ihnen vorstellten, das lag ja auf der Hand: es waren einfach
Geschäftsleute, oder Hochstapler, oder Schönredner. Die Bedeutenden aber,
die Tätigen, – die Genialen ganz gewiß, die waren in der Tiefe ihrer Seele
nichts anderes als Künstler. Auch sie versuchten ein Werk zu schaffen und
eines, das in der Idee geradeso Anspruch auf Unvergänglichkeit und
Endgültigkeit erhob, wie irgendein anderes Kunstwerk. Nur, daß eben das
Material, aus dem sie bildeten, kein starres, kein relativ bleibendes war, wie
Töne oder Worte sind, sondern daß es nach lebendiger Menschen Art, sich
ununterbrochen in Fluß und Bewegung befand.
Willy Eißler erschien, entschuldigte sich bei der Hausfrau, daß er sich
verspätet hatte, nahm zwischen Sissy und Frau Oberberger Platz und grüßte
seinen Vater wie einen lieben, alten Freund nach langer Trennung. Es stellte
sich heraus, daß die beiden, trotzdem sie zusammen wohnten, sich seit
mehreren Tagen nicht gesehen hatten. Willy erhielt Komplimente zu seinem
Erfolg in der Aristokratenvorstellung, wo er mit der Gräfin Liebenberg-
Rathony in einem französischen Proverbe einen Marquis gespielt hatte. Frau
Oberberger fragte ihn, immerhin laut genug, daß es die Nächstsitzenden
verstehen konnten, wo seine Rendezvous mit der Gräfin stattfänden und ob er
sie im gleichen Absteigquartier empfinge wie seine bürgerlichen Flammen.
Die Unterhaltung wurde lebhafter, Gespräche gingen hin und her und
verschlangen sich da und dort. Georg aber fing abgerissene Worte auf, auch
aus einer Unterhaltung zwischen Anna und Heinrich, in der von Therese
Golowski die Rede war. Dabei sah er, wie Anna zuweilen einen neugierig
dunkeln Blick zu Demeter Stanzides herüberwarf, der heute im Frack mit
einer Gardenia im Knopfloch erschienen war; und ohne eigentliche Eifersucht
zu verspüren, fühlte er sich sonderbar bewegt. Ob sie in diesem Augenblick
wohl daran dachte, daß sie vielleicht ein Kind von ihm unter dem Herzen
trug? »Die Untiefen… « fiel ihm wieder ein. Plötzlich sah sie zu ihm herüber,
mit einem Lächeln, als käme sie von einer Reise heim. Er war innerlich wie
befreit und spürte mit einem leisen Schrecken, wie sehr er sie liebte. Dann
führte er sein Glas an die Lippen und trank ihr zu. Else, die bisher mit ihrem
andern Nachbar, Demeter, geplaudert hatte, wandte sich nun an Georg; in
ihrer absichtlich beiläufigen Art mit einem Blick auf Anna bemerkte sie:
»Hübsch sieht sie aus. So frauenhaft. Das hat sie übrigens immer an sich
gehabt. Musizieren Sie noch mit ihr?«
»Manchmal«, entgegnete Georg kühl.
»Vielleicht bitt ich sie, vom neuen Jahr an wieder mit mir zu korrepetieren.
Ich weiß nicht, wieso es bis jetzt nicht dazu gekommen ist.«
Georg schwieg.
»Und wie steht es denn eigentlich« – sie wies mit einem Blick auf Heinrich
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik