Seite - 127 - in Der Weg ins Freie
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»Nun, umso besser, daß ich den Weg nicht vergeblich gemacht habe. Also
meine Frau hat mir nämlich heute morgen… berichtet… was sich ereignet
hat.« Er sah zu Boden.
»So«, sagte Georg und nagte an der Oberlippe. »Ich hatte eigentlich selbst
die Absicht… Aber wollen Sie nicht den Winterrock ablegen, es ist sehr
warm im Zimmer.«
»O, danke, danke, es ist mir durchaus nicht zu warm. Nun, ich war ganz
entsetzt, als meine Frau mir diese Mitteilung machte. Jawohl, Herr Baron…
Nie hätt ich von Anna gedacht… niemals für möglich gehalten… es ist ja
furchtbar… « Er sagte alles in seiner gewohnten eintönigen Weise, nur
schüttelte er öfter den Kopf dabei als sonst. Georg mußte immer auf die
Glatze mit dem dünnen, gelblichgrauen Haar herunterschauen und empfand
nichts als eine öde Gelangweiltheit. »Furchtbar, Herr Rosner, ist die Sache
wahrhaftig nicht«, sagte er endlich. »Wenn Sie wüßten, wie sehr ich… wie
innig meine Neigung zu Anna ist, so würden Sie gewiß auch fern davon sein,
die Sache furchtbar zu finden. Ihre Frau Gemahlin hat Sie ja jedenfalls
hinsichtlich unserer Absichten für die nächste Zeit unterrichtet. – Oder irre
ich mich?« –
»Durchaus nicht, Herr Baron, seit heute morgen bin ich über alles
orientiert. Doch kann ich nicht verschweigen, schon seit einigen Wochen
merkte ich, daß etwas im Hause nicht in Ordnung wäre. Es fiel mir
insbesondere auf, daß meine Frau sehr erregt und häufig geradezu dem
Weinen nahe war.«
»Dem Weinen nahe? – Dazu liegt wahrhaftig kein Grund vor, Herr Rosner;
Anna selbst, auf die es doch schließlich vor allem ankommt, befindet sich
sehr wohl, hat ihre gewohnte Heiterkeit… «
»Ja, Anna ist allerdings in guter Stimmung und dies, um die Wahrheit zu
sagen, bildet gewissermaßen meinen Trost. Aber im übrigen kann ich Ihnen
nicht schildern, Herr Baron, wie schwer getroffen… wie, ich möchte sagen…
wie aus allen Himmeln gerissen… nie, nie hätte ich geglaubt… «, er konnte
nicht weiter, seine Stimme zitterte.
»Ich bin wirklich sehr bekümmert«, sagte Georg, »wenn Sie der
Angelegenheit in dieser Weise gegenüberstehen, trotzdem Ihnen doch Ihre
Frau Gemahlin jedenfalls alles auseinandergesetzt hat, und die Maßnahmen,
die wir für die nächste Zeit getroffen haben, wohl auch Ihre Zustimmung
finden dürften. Von einer ferneren Zeit, einer hoffentlich nicht allzufernen,
will ich heute lieber noch nicht reden, weil mir Phrasen jeder Art ziemlich
zuwider sind. Aber Sie können versichert sein, Herr Rosner, daß ich gewiß
nicht vergessen werde, was ich einem Wesen wie Anna… Ja, was ich mir
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik