Seite - 130 - in Der Weg ins Freie
Bild der Seite - 130 -
Text der Seite - 130 -
abgestoßen. Und dennoch, in der Erinnerung an die Stunde, da er Heinrich
von ein paar unklaren Worten im Brief einer Geliebten heftiger bewegt
gesehen hatte, als von dem Wahnsinn seines Vaters, konnte er sich dem
Eindruck nicht verschließen, daß Nürnberger den gemeinsamen Freund
richtig beurteilte… »Haben Sie den alten Bermann gekannt?« fragte er.
»Persönlich nicht. Aber ich erinnere mich noch der Zeit, da sein Name oft
in den Blättern genannt wurde, und auch mancher sehr gesinnungstüchtigen
Reden, die er im Abgeordnetenhaus gehalten hat. Doch ich halte Sie auf,
lieber Baron, grüß Sie Gott. Wir sehen uns wohl dieser Tage einmal im
Kaffeehaus oder bei Ehrenbergs.«
»Sie halten mich durchaus nicht auf«, erwiderte Georg mit absichtlicher
Liebenswürdigkeit. »Ich bummle und benütze die Gelegenheit mir
Sommerwohnungen anzuschauen.«
»So, wollen Sie heuer in der Nähe Wiens auf dem Lande wohnen?«
»Ja, eine Zeitlang wahrscheinlich. Und außerdem hat mich eine bekannte
Familie gebeten, wenn der Zufall mich bei diesem Anlaß etwas finden ließe…
« Er wurde ein wenig rot, wie immer, wenn er nicht ganz bei der Wahrheit
blieb.
Nürnberger bemerkte es und sagte harmlos: »Ich bin eben an einigen Villen
vorbeigegangen, die zu vermieten sind. Sehen Sie zum Beispiel dort diese
weiße, mit der breiten Terrasse?«
»Die sieht ganz nett aus. Die könnte man sich eigentlich anschauen. Wenn
es Ihnen nicht zu fad ist, mich zu begleiten, – so fahren wir dann miteinander
nach der Stadt zurück.«
Der Garten, den sie betraten, stieg schmal und lang nach aufwärts und
erinnerte Nürnberger an einen andern, in dem er als Kind gespielt hatte.
»Vielleicht ist es sogar derselbe«, sagte er. »Wir haben nämlich durch Jahre
hindurch in Grinzing oder Heiligenstadt auf dem Lande gewohnt.«
Dieses »wir« berührte Georg ganz eigen. Er konnte sich kaum vorstellen,
daß Nürnberger auch einmal ganz jung gewesen war, als ein Sohn mit Vater
und Mutter, als ein Bruder mit Schwestern gelebt hatte, und er empfand mit
einemmal die ganze Existenz dieses Mannes als etwas Seltsames und
Schweres.
Auf der Höhe des Gartens, von einer offenen Laube, gab es einen
wunderhübschen Blick auf die Stadt, an dem sie sich eine Weile erfreuten.
Dann gingen sie langsam wieder hinab, von der Hausmeistersfrau begleitet,
die ein kleines Kind, in einen grauen Plaid gewickelt, auf dem Arme trug.
Nun sahen sie sich die Wohnung an; niedrige, muffige Zimmer, mit
130
zurück zum
Buch Der Weg ins Freie"
Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik