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Der Weg ins Freie
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das Haus verlassen hatte. Durch zehn Jahre war sie nun von Stadt zu Stadt, von Bühne zu Bühne gewandert, immer nur in geringem Stellungen beschäftigt, da weder ihr Talent noch ihre Schönheit für den gewählten Beruf auszureichen schienen; aber immer mit gleicher Begeisterung, immer mit gleicher Zukunftsgewißheit, trotz der Enttäuschungen, die sie erlebte, und des Jammers, den sie sah. In den Ferien erschien sie zuweilen bei den Brüdern, die damals noch zusammen wohnten, auf Wochen, manchmal nur auf Tage, erzählte von den Schmieren, auf denen sie gemimt, als wären es große Theater; von ihren spärlichen Erfolgen wie von Triumphen, die sie errungen; von den armseligen Komödianten, an deren Seite sie gewirkt, wie von großen Künstlern, von den kleinen Intrigen, die sich in ihrer Nähe abgespielt, wie von gewaltigen Tragödien der Leidenschaft. Und statt allmählich inne zu werden, in welch einer kläglichen Welt als eine der Bedauernswertesten sie dahinlebte, spann sie von Jahr zu Jahr sich in goldenere Träume ein. Das ging so lang, bis sie einmal fiebernd und krank in die Heimat zurückkehrte. Nun lag sie monatelang zu Bett, mit geröteten Wangen, schwärmte in ihren Delirien von Ruhm und Glück, die sie nie erlebt, erhob sich noch einmal zu scheinbarer Gesundheit und zog wieder hinaus, um diesmal schon nach wenigen Wochen, völlig zerstört, den Tod auf der Stirne, heimzukehren. Nun reiste der Bruder mit ihr nach dem Süden; nach Arco, nach Meran, an die italienischen Seen. Und jetzt erst, in südlichen Gärten unter blühenden Bäumen hingestreckt, dem Treiben entrückt, das sie durch Jahre berauscht und verwirrt hatte, kam sie zur Erkenntnis, daß ihr Leben ein Hin- und Hertaumeln unter gemaltem Himmel und zwischen papierenen Wänden, – daß der ganze Inhalt ihres Daseins ein Wahn gewesen war. Aber auch die kleinen Abenteuer des Tags, in gemieteten Zimmern und Wirtshäusern, auf Straßen fremder Städte, erschienen ihr in der Erinnerung wie Szenen, in denen sie als Schauspielerin im Rampenlichte mitgespielt, nicht wie solche, die sie wirklich erlebt hatte. Und während sie dem Grabe entgegenging, erwachte in ihr eine ungeheuere Sehnsucht nach dem wirklichen Leben, das sie versäumt hatte; je sicherer sie wußte, daß sie ihr für immer verloren war, mit um so klarerem Blicke erkannte sie die Fülle der Welt. Und das allersonderbarste war, wie in den letzten Wochen ihres Lebens das Talent, dem sie ihre ganze Existenz hingeopfert, ohne es wirklich zu besitzen, geheimnisvoll dämonisch zum Vorschein kam. »Heute noch scheint mir«, sagte Nürnberger, »als hätt ich niemals, auch von der größten Schauspielerin, Verse so sprechen gehört, ganze Szenen so agieren gesehen, wie von meiner Schwester in dem Hotelzimmer in Cadenabbia mit der Aussicht auf den Comosee, ein paar Tage, bevor sie starb. Freilich«, setzte er hinzu, »ist es möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß mich die Erinnerung täuscht.« »Warum denn?« fragte Georg, dem dieser Abschluß so gut gefiel, daß er 132
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Der Weg ins Freie
Titel
Der Weg ins Freie
Autor
Arthur Schnitzler
Datum
1908
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
306
Schlagwörter
Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1 2
  2. Kapitel 2 49
  3. Kapitel 3 75
  4. Kapitel 4 93
  5. Kapitel 5 125
  6. Kapitel 6 181
  7. Kapitel 7 212
  8. Kapitel 8 222
  9. Kapitel 9 255
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