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Der Weg ins Freie
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ich mir schmeichle… nicht ganz entziehen. Das ist ja das Merkwürdige. Aber glauben Sie mir, es gibt auch heutzutage, selbst unter den jungen Leuten, die bei Nietzsche und Ibsen aufgewachsen sind, geradesoviel Philister als es vor dreißig Jahren gegeben hat; sie geben sich nur nicht zu erkennen, außer es geht ihnen selbst an den Kragen, zum Beispiel, wenn man ihnen die Schwester verführt oder wenn ihre Frau Gemahlin ihnen plötzlich mit der Idee kommt, sie will sich ausleben… Manche sind natürlich konsequent und spielen ihre Rolle weiter… das ist aber mehr eine Frage der Selbstbeherrschung als der Weltanschauung. Und früher wieder, wissen Sie, in der Epoche, aus der ich eben komme, wo die Begriffe so unwiderruflich festgestanden sind, wo jeder zum Beispiel genau gewußt hat: man hat seine Eltern zu verehren, sonst ist man ein Schuft… oder: eine wahre Liebe gibt es nur einmal im Leben… oder: es ist ein Vergnügen für das Vaterland zu sterben… wissen Sie, in der Epoche, wo jeder anständige Mensch irgendeine Fahne hochgehalten, oder wenigstens irgendwas auf sein Banner geschrieben hat… glauben Sie mir, schon damals haben die sogenannten modernen Ideen mehr Anhänger gehabt, als man ahnt. Nur, daß es diese Anhänger selbst manchmal nicht recht gewußt, daß sie selber ihren Ideen nicht getraut, daß sie sich gewissermaßen wie Auswürflinge oder gar wie Verbrecher vorgekommen sind. Soll ich Ihnen was sagen, Herr Baron? Es gibt überhaupt keine neuen Ideen. Neue Gedankenintensitäten – das ja. Aber meinen Sie im Ernst, daß Nietzsche den Übermenschen, Ibsen die Lebenslüge erfunden hat, und Anzengruber die Wahrheit, daß die Eltern selber »danach sein sollen«, die von ihren Kindern Verehrung und Liebe wünschen? Keine Spur. Alle ethischen Ideen sind immer dagewesen, und staunen würde man, wenn man wüßte, was für Flachköpfe die sogenannten neuen, großen Wahrheiten gedacht, vielleicht sogar manchmal ausgesprochen haben, lang vor den Genies, denen wir diese Wahrheiten verdanken, oder vielmehr den Mut, diese Wahrheiten für wahr zu halten. Aber ich bin da etwas weit abgekommen, verzeihen Sie. Eigentlich hab ich nur sagen wollen… und Sie werden mirs glauben… ich weiß so gut wie Sie, Herr Baron, daß es manches jungfräuliche Mädchen gibt, das tausendmal verdorbener ist als eine sogenannte Gefallene, und manchen, als anständig geltenden jungen Mann, der schlimmere Dinge auf dem Gewissen hat, als daß er mit einem unschuldigen Mädchen ein Verhältnis anfängt. Und doch… das ist eben der Fluch meiner Epoche… «, schaltete er lächelnd ein, »ich hab mir nicht helfen können: im ersten Moment, wie Annerl mir die Geschichte erzählt hat, da haben gewisse unangenehme Worte, die seinerzeit ihre feststehende Bedeutung gehabt haben, in meinem alten Kopf ganz mit ihrem alten Ton zu klingen angefangen, dumme, überlebte Worte wie… Wüstling… Verführung… sitzen lassen… und so weiter. Und daher, ich muß noch einmal um Entschuldigung bitten, jetzt, da ich Sie etwas näher kennen gelernt habe – daher ist dann der 135
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Der Weg ins Freie
Titel
Der Weg ins Freie
Autor
Arthur Schnitzler
Datum
1908
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
306
Schlagwörter
Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1 2
  2. Kapitel 2 49
  3. Kapitel 3 75
  4. Kapitel 4 93
  5. Kapitel 5 125
  6. Kapitel 6 181
  7. Kapitel 7 212
  8. Kapitel 8 222
  9. Kapitel 9 255
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