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»Wofür dankst du mir, du bist komisch Georg.« Sie reichten sich die
Hände, und dann küßten sie einander, was schon seit langer Zeit nicht
geschehen war. Und Georg beschloß, sein Kind, wenn es ein Knabe sein
sollte, Felician zu nennen, und er freute sich der guten Vorbedeutung im
Glücksklang dieses Namens.
Nach des Bruders Abreise fühlte sich Georg so verlassen, als hätte er nie
einen andern Freund gehabt. Der Aufenthalt in der großen, einsamen
Wohnung, wo ihm eine ähnliche Stimmung zu lasten schien, wie in der ersten
Zeit nach dem Tode des Vaters, machte ihn beinahe traurig.
Die Tage, die noch bis zur Abreise verstreichen mußten, empfand er als
Übergangszeit, mit der nichts rechtes mehr anzufangen war. Die Stunden mit
der Geliebten im Zimmer der Kirche gegenüber wurden farblos und öde. Mit
Anna selbst schien nun auch seelisch eine Veränderung vorzugehen. Sie war
manchmal reizbar, dann wieder schweigsam, fast melancholisch, und oft
überkam Georg im Zusammensein mit ihr eine solche Langeweile, daß ihm
vor den nächsten Monaten, in denen sie ganz aufeinander angewiesen sein
sollten, geradezu bange wurde. Wohl versprach die Reise an sich
Abwechslung genug. Aber wie sollte es in den spätern Monaten werden, die
man ruhig irgendwo in der Nähe Wiens zu verbringen genötigt war? Er mußte
auf eine Gesellschaft für Anna bedacht sein. Noch zögerte er mit ihr davon zu
sprechen, als Anna selbst ihm mit einer Neuigkeit entgegenkam, die jene
Schwierigkeit und zugleich eine andre auf die einfachste Weise zu beheben
geeignet war. In der letzten Zeit, insbesondere seit Anna ihre Lektionen
allmählich aufgegeben, hatte sie sich Theresen wieder näher angeschlossen,
ihr alles anvertraut; und so war bald auch Theresens Mutter mit im
Geheimnis. Diese nun kam Anna gütiger entgegen als die eigene Mutter, die
nach einem kurzen Aufflackern des Verständnisses sich von der schuldigen
Tochter gekränkt und schwermütig abgeschlossen hatte. Frau Golowski
erklärte sich nicht nur bereit bei Anna auf dem Lande zu wohnen, sondern
versprach auch, das kleine Haus, das Georg nicht hatte entdecken können,
während das junge Paar fern war, ausfindig zu machen. So sehr diese
Bereitwilligkeit Georgs Bequemlichkeit entgegenkam, es war ihm doch ein
wenig peinlich, dieser fremden, alten Frau verpflichtet zu sein; und daß
gerade sie, die Mutter Leos, und der Vater Bertholds dazu bestimmt waren, an
einem so wichtigen Erlebnis Annas so bedeutenden Anteil zu nehmen, wollte
ihm in verstimmten Augenblicken beinahe lächerlich erscheinen.
Drei Tage vor der Abreise, an einem schönen März-Nachmittag, machte
Georg seinen Abschiedsbesuch bei Ehrenbergs. Seit jenem
Weihnachtsfeiertage hatte er sich nur selten oben blicken lassen, und seine
Gespräche mit Else waren seither durchaus harmlos geblieben. Wie einem
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik