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Freunde, der solche Bemerkungen nicht mehr mißverstehen konnte, gestand
sie ihm, wie sie sich daheim immer weniger wohl fühle. Insbesondre, was
Georg schon selbst manchmal beobachtet hatte, schien die Stimmung des
Hauses durch das üble Verhältnis zwischen Vater und Sohn dauernd getrübt
zu sein. Wenn Oskar in seiner nonchalant-vornehmen Haltung zur Tür
hereinkam und in seinem wienerisch-aristokratischen Ton zu reden begann,
wandte sich der Vater mit Hohn ab, oder konnte Anspielungen nicht
unterdrücken, daß er von heut auf morgen der ganzen Vornehmheit durch
Entziehen oder Herabsetzen des sogenannten Gehaltes, der ja doch nur ein
Taschengeld wäre, ein Ende machen könnte. Fing hingegen der Vater, wie er
es vor Leuten und mit offenbarer Absicht am liebsten tat, im Jargon zu reden
an, so biß Oskar die Lippen aufeinander und verließ wohl auch das Zimmer.
Doch kam es in der letzten Zeit nur mehr selten vor, daß Vater und Sohn
zugleich sich in Wien oder in Neuhaus aufhielten. Sie ertrugen kaum mehr
einer des andern Nähe.
Als Georg bei Ehrenbergs eintrat, lag das Zimmer fast im Dunkel. Hinter dem
Klavier hervor leuchtete die marmorne Isis, und in den Erker, wo Mutter und
Tochter einander gegenübersaßen, fiel das Dämmerlicht des späten
Nachmittags. Zum erstenmal hatte für Georg die Erscheinung dieser zwei
Frauen etwas seltsam Rührendes. Eine Ahnung tauchte in ihm auf, daß ihm
dieses Bild heute vielleicht zum letztenmal vor Augen träte, und Elses
Lächeln leuchtete ihm so schmerzlich süß entgegen, daß er einen Augenblick
lang dachte: wäre nicht am Ende hier das Glück gewesen?…
Nun saß er neben Frau Ehrenberg, die ruhig weiter stickte, Else gegenüber,
rauchte eine Zigarette und war wie zu Hause. Er erzählte, daß er, verführt von
dem lockenden Frühlingswetter, die geplante Reise früher antrete, als
beabsichtigt war, und daß er sie wahrscheinlich bis in den Sommer hinein
ausdehnen werde.
»Und wir wollen diesmal schon Mitte Mai nach dem Auhof«, sagte Frau
Ehrenberg. »Aber heuer rechnen wir sicher darauf Sie bei uns zu sehen.«
»Wenn Sie nicht anderweitig beschäftigt sind«, setzte Else hinzu, ohne eine
Miene zu verziehen.
Georg versprach im August zu kommen, auf einige Tage wenigstens.
Dann sprach man über Felician und Willy, die sich vor wenig Tagen von
Biskra aus mit ihrer Gesellschaft in die Wüste begeben hatten, um zu jagen;
über Demeter Stanzides, der nächstens seinen Abschied vom Militär nehmen
und sich auf ein Gut in Ungarn zurückziehen wollte, und endlich über
Heinrich Bermann, von dem seit Wochen niemand eine Nachricht hatte.
»Wer weiß, ob er überhaupt nach Wien zurückkommt«, sagte Else.
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik