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Das Gespräch stockte einen Augenblick, wie es leicht geschieht, wenn mit
einemmal hinter einer allgemeinen Bemerkung die persönliche
Nutzanwendung allzudeutlich hervorblinkt.
Frau Ehrenberg setzte neu ein: »Haben Sie was Schönes komponiert in der
letzten Zeit, Georg?« fragte sie.
»Ein paar Kleinigkeiten fürs Klavier. Übrigens ist auch mein Quintett bald
fertig.«
»Das Quintett fängt bald an mythisch zu werden«, sagte Else unzufrieden.
»Else«, mahnte die Mutter.
»Na ja, es wäre doch wirklich gut, wenn er fleißiger wäre.«
»Da haben Sie freilich Recht«, erwiderte Georg.
»Ich glaube, die Künstler haben früher viel mehr gearbeitet als jetzt.«
»Die großen«, ergänzte Georg.
»Nein, alle«, beharrte Else.
»Es ist vielleicht gut, daß Sie eine Reise machen«, sagte Frau Ehrenberg
weitblickend. »Sie werden hier zu viel abgelenkt.«
»Er wird sich überall ablenken lassen«, behauptete Else streng. »Auch in
Iglau, oder wo er sonst im nächsten Jahr sein wird.«
»Daran hab ich jetzt gar nicht gedacht, daß Sie fortgehen«, sagte Frau
Ehrenberg und schüttelte den Kopf. »Und Ihr Bruder ist nächstes Jahr in Sofia
oder Athen, und Stanzides in Ungarn… traurig eigentlich, wie die nettesten
Menschen in alle Windrichtungen auseinander stieben.«
»Wenn ich ein Mann wär«, sagte Else, »stöb ich auch.«
Georg lachte. »Sie träumen von einer Reise um die Welt in einer weißen
Yacht. Madeira, Ceylon, St. Franzisko.«
»O nein, ich möchte nicht ohne Beruf sein, aber wahrscheinlich wäre ich
Marineoffizier geworden.«
»Möchten Sie nicht so lieb sein«, wandte sich Frau Ehrenberg an Georg,
»und uns Ihre neuen Sachen ein bissel vorspielen?«
»Ganz gern.« Er stieg vom Erker am Fenster hinab, in die Dunkelheit des
Zimmers. Else erhob sich und schaltete das Oberlicht ein. Georg öffnete das
Klavier, setzte sich hin und spielte seine Ballade. Else hatte auf einem
Fauteuil Platz genommen, und wie sie den Arm auf die Lehne und den Kopf
auf den Arm gestützt dasaß, in der Haltung einer großen Dame und mit dem
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik