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wie es ihnen beliebte. Sie waren ineinander beruhigt, wie sies nie gewesen
und gehörten einander endlich ganz. Dann reisten sie weiter, dem rufenden
Frühling entgegen; durch gedehnte Täler, auf denen der Schnee glänzte und
zerrann, dann, wie durch einen letzten, weißen Wintertraum, über den
Brenner nach Bozen, wo sie mittags auf dem grellen Marktplatz in
Sonnenstrahlen badeten. Auf den verwitterten Stufen des weiten
Amphitheaters von Verona, unter einem kühlen Osterabendhimmel, fand sich
Georg endlich der ersehnten Welt gegenüber, in die eine wahrhaft Geliebte zu
geleiten ihm diesmal gegönnt war. Aus rötlich blassen Fernen, zugleich mit
all den ewigen Erinnerungen, die auch andern Menschen gehörten, grüßte ihn
die eigene, entrückte Knabenzeit; ja ein Hauch der verwehten Tage, da seine
Mutter noch gelebt hatte, zitterte hier schon durch die fremdheimatliche Luft.
Venedig empfing ihn gefällig, doch zauberlos, und wohlbekannt, als hätte er
es gestern verlassen. Auf dem Markusplatz wurde er von flüchtigen Wiener
Bekannten gegrüßt, und der verschleierten Dame an seiner Seite im weiten
Mantel galt mancher neugierige Blick. Einmal nur, spät abends auf einer
Gondelfahrt durch enge Kanäle, erstanden ihm die starrenden Paläste, die im
Alltagslicht allmählich zu Kulissen entwürdigt waren, im schweren Prunk
dunkelgoldener Vergangenheiten.
Dann kamen ein paar Tage in Städten, die er kaum oder gar nicht kannte,
wo er als Knabe nur kurze Stunden, oder noch niemals geweilt hatte. Aus
einem schwülen Paduaner Mittag traten sie in eine dämmrige Kirche und
betrachteten langsam von Altar zu Altar wandelnd, die einfältig herrlichen
Bilder, auf denen Heilige ihre Wunder vollbrachten und ihre Martyrien
vollendeten. An einem trüben, regenschweren Tag fuhr sie ein rumpelnder,
trauriger Wagen an einem ziegelroten Kastell vorbei, um das in einem breiten
Graben graugrünliches Wasser stand, über einen Marktplatz, wo vor dem
Kaffeehaus nachlässig gekleidete Bürger saßen; in stillere und traurige
Gassen, wo zwischen den buckligen Steinen Gras wuchs; und sie mußten
glauben, daß diese kläglich dahinsterbende Kleinstadt den schmetternden
Namen Ferrara trug. In Bologna schon, wo die lebhaft aufblühende Stadt sich
nicht am Stolz vergangener Herrlichkeiten genügen ließ, atmeten sie auf.
Aber erst als Georg die Hügel von Fiesole erblickte, fühlte er sich wie von
einer andern Heimat begrüßt. Dies war die Stadt, in der er aufgehört hatte
Knabe zu sein, in der der Strom des Lebens durch seine Adern zu kreisen
begonnen hatte. An manchen Plätzen tauchten Erinnerungen in ihm auf, die er
für sich behielt; und in dem Dom, wo jenes Florentiner Mädchen unter dem
Brautschleier den letzten Blick zu ihm gesandt, sprach er zu Anna nur von der
Herbstabendstunde in der Altlerchenfelder Kirche, wo sie beide ahnungsvoll
von dieser Reise zu reden begonnen hatten, die nun so unbegreiflich rasch
Wirklichkeit geworden war. Er zeigte Anna das Haus, in dem er vor neun
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik