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Der Weg ins Freie
Seite - 156 -
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Tage in Lugano erschienen Georg als die besten, die er seit seiner Abfahrt aus Wien erlebt hatte. Und er fragte sich in manchem schönen Augenblick, ob es nicht vielleicht die beste Zeit seines ganzen Lebens wäre, die er hier verbrachte. Nie hatte er sich so wunschlos, in Voraussicht und Erinnerung so beruhigt gefühlt als hier, und mit Freude sah er, daß auch Anna vollkommen glücklich war. Erwartungsvolle Milde glänzte auf ihrer Stirn, ihre Augen blickten heiter und klug, wie in der Zeit, da Georg um ihren Besitz geworben. Ohne Unruhe, ohne Ungeduld, und, im Gefühl ihrer aufblühenden Mütterlichkeit weit hinausgetragen über die Erinnerung an heimatliche Vorurteile und über die Besorgnis vor künftigen Wirrnissen, sah sie der hohen Stunde beglückt entgegen, da sie dem wartenden Dasein als ein beseeltes Wesen wiedergeben sollte, was ihr Leib in einem halb unbewußten Augenblick der Wonne eingetrunken hatte. Freudig sah Georg in ihr die Gefährtin heranreifen, die er von Beginn an in ihr zu finden gehofft hatte, die ihm aber im Laufe der Tage manchmal entschwunden war. In Gesprächen über seine Arbeiten, die sie alle sorgfältig durchgesehen, über das Wesen des Gesangs, über allgemeinere musikalische Fragen, erschloß sie ihm mehr Wissen und Gefühl, als er je in ihr geahnt hatte. Ihm selbst, ohne daß er vieles niederschrieb, war zumute, als schritte er innerlich vorwärts. Melodien klangen in ihm, Harmonien kündigten sich an, und mit tiefem Verstehen erinnerte er sich einer Bemerkung Felicians, der einmal, nachdem er monatelang die Klinge nicht geübt, gesagt hatte: sein Arm wäre während dieser Zeit auf gute Gedanken gekommen. So erregte ihm auch die Zukunft keinerlei Sorgen. Er wußte, sobald er nach Wien kam, würde die ernste Arbeit beginnen, und dann lag in freier Aussicht sein Weg vor ihm. Längst stand Georg an der Straßenbiegung, der seine Schritte zugestrebt hatten. Eine kurze, breite Landzunge, von niederm Gesträuch dicht bewachsen, streckte sich von hier aus in den See, und leicht sich senkend führte ein schmaler Weg in wenig Schritten zu einer von der Straße aus unsichtbaren Holzbank, auf der Georg sich immer für eine kurze Weile niederzulassen pflegte, eh er ins Hotel zurückkehrte. Wie oft noch! dachte er heute unwillkürlich. Fünf oder sechs Male vielleicht und dann zurück nach Wien. Und er fragte sich, was denn wohl geschähe, wenn sie nicht zurückkehrten, wenn sie sich irgendwo in Italien, oder in der Schweiz häuslich niederließen und mit dem Kind, im doppelten Frieden der Natur und der Ferne sich ein neues Leben aufbauten. Was geschähe?… Nichts. Kaum daß irgend jemand sich sonderlich wundern würde. Und vermissen, mit Schmerz vermissen, als unersetzlich, würde niemand weder ihn noch sie. In dieser Überlegung ward ihm eher leicht als traurig zumute; nur verdroß es ihn, daß ihn manchmal doch eine Art Heimweh, ja sogar von Sehnsucht nach einzelnen Menschen überkam. Und 156
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Der Weg ins Freie
Titel
Der Weg ins Freie
Autor
Arthur Schnitzler
Datum
1908
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
306
Schlagwörter
Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1 2
  2. Kapitel 2 49
  3. Kapitel 3 75
  4. Kapitel 4 93
  5. Kapitel 5 125
  6. Kapitel 6 181
  7. Kapitel 7 212
  8. Kapitel 8 222
  9. Kapitel 9 255
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