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Georg erinnerte sich plötzlich wie einer vollkommen vergessenen und
höchst merkwürdigen Sache, daß Therese Leos Schwester war. Ob der wußte,
daß sie hier, und mit wem sie hier war?
Demeter nagte etwas nervös an seinen Lippen.
»Da ist nämlich ein antisemitischer Oberleutnant«, sagte Therese, »der ihn
auf eine besonders niederträchtige Art seckiert, weil er spürt, wie Leo ihn
verachtet.«
Georg nickte. Er wußte ja davon.
»Liebes Kind«, sagte Demeter, »wie ich schon mehrere Male erwähnte, mir
stimmt in der Sache etwas nicht. Ich kenne zufällig den Oberleutnant
Sefranek und versichre dich, es ist mit ihm auszukommen. Er ist nicht
besonders gescheit, und daß er für die Israeliten keine Vorliebe hat, mag auch
richtig sein, aber schließlich muß man doch sagen, es gibt sogenannte
antisemitische Schimpfwörter, die gar keine Bedeutung haben, die von Juden
meiner Erfahrung nach ebensoviel angewendet werden wie von Christen. Und
dein Herr Bruder leidet da entschieden an einer krankhaften
Empfindlichkeit.«
»Empfindlichkeit ist nie krankhaft«, entgegnete Therese. »Nur
Unempfindlichkeit ist eine Krankheit und zwar die widerwärtigste, die ich
kenne. Ich stimme bekanntlich mit meinem Bruder, das wissen Sie am besten,
Georg, in meinen politischen Anschauungen so wenig überein als möglich,
mir sind jüdische Bankiers geradeso zuwider wie feudale Großgrundbesitzer,
und orthodoxe Rabbiner geradeso zuwider wie katholische Pfaffen. Aber
wenn sich jemand über mich erhaben fühlte, weil er einer andern Konfession
oder Rasse angehört als ich, und gar im Bewußtsein seiner Übermacht mich
diese Erhabenheit fühlen ließe, ich würde so einen Menschen… also ich weiß
nicht, was ich ihm täte. Aber jedenfalls würd ich den Leo begreifen, wenn er
bei der nächsten Gelegenheit diesem Herrn Sefranek ins Gesicht springt.«
»Mein liebes Kind«, sagte Demeter, »wenn du nur den geringsten Einfluß
auf deinen Bruder hast, so solltest du diesen Gesichtssprung um jeden Preis
zu verhindern suchen. Meiner Ansicht nach bleibt es doch bei einem solchen
Fall das beste, den anständigen, das heißt den vorschriftsmäßigen Weg
einzuschlagen. Es ist nämlich gar nicht wahr, daß damit nichts erreicht wird,
die obern Chargen sind meistens ruhige, jedenfalls korrekte Persönlichkeiten
und… «
»Aber das hat ja der Leo längst getan… schon im Februar. Er ist beim
Obersten gewesen, der Oberst war sogar sehr nett zu ihm und hat, wie aus
verschiedenen Anzeichen hervorgeht, dem Oberleutnant sehr ins Gewissen
geredet; nur daß es leider nicht das geringste genützt hat, im Gegenteil. Bei
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik