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schüttelte sie den Kopf. Nein, nein… ein Mann konnte das nicht verstehen,
auch der beste, der gütigste nicht. Sie fühlte ja das kleine Wesen schon sich
regen, spürte das Klopfen seines zarten Herzens, fühlte diese neue
unbegreifliche Seele in ihrer atmen, geradeso wie sie den neuen jungen Leib
in ihrem blühen und erwachen fühlte. Und Georg sah vor sich hin, wie
beschämt, daß sie dem, was nahe war, mit so viel reinern Sinnen
entgegenlebte als er. Denn daß hier, von ihm gezeugt, ein Wesen wurde wie er
und selbst wieder bestimmt, neuen Wesen Leben zu verleihen; daß in dem
gesegneten Leib dieser Frau, nach dem ihm schon lange nicht mehr verlangte,
nach ewigen Gesetzen ein Leben schwoll, das vor einem Jahre noch ein
ungeahntes, ungewolltes, im Unendlichen verlorenes war und nun wie ein seit
Urzeit vorherbestimmtes zum Licht empordrängte; – daß er selbst sich nun in
der geschlossenen Kette von Urahnen zu Urenkeln gleichsam an beiden
Händen gefaßt, unentweichbar einbezogen wußte,… von diesem Wunder
fühlte er sich nicht so mächtig aufgerufen, als es fordern durfte.
Und ernsthafter, als sie es sonst zu tun pflegten, besprachen sie heute, was
nach des Kindes Geburt zu geschehen hätte. In den ersten Wochen behielt
Anna es natürlich bei sich, dann mußte man es wohl zu fremden Leuten
geben; jedenfalls aber sollte es ganz nahe wohnen, so daß Anna es zu jeder
Zeit ohne Schwierigkeit sehen konnte.
»Und du«, sagte sie mit einem Mal ganz leicht, »wirst du manchmal
herkommen uns besuchen?«
Er sah ihr in das verschmitzt lächelnde Gesicht, nahm ihre beiden Hände
und küßte sie. »Liebste, was soll ich tun, sag selbst? Du kannst dir denken,
wie schwer es mir sein wird. Aber was bleibt mir anders übrig? Es muß ein
Anfang gemacht werden. Hab ich dir schon gesagt«, setzte er hastig hinzu, als
wäre damit jeder Rückzug abgeschnitten, »die Wohnung ist gekündigt.
Felician geht wahrscheinlich nach Athen. Ja, wenn ich dich gleich mitnehmen
könnte, das wär freilich schön! Aber das ist ja leider nicht möglich, eine
gewisse Sicherheit muß vor allem da sein. Ich meine, wenigstens die
Sicherheit, daß ich längere Zeit an einem Ort bleibe… «
Sie hatte ernsthaft-ruhig zugehört. Dann kam sie bedächtig-wichtig auf ihre
neueste Idee zu sprechen. Er sollte nicht glauben, daß sie daran dächte, ihm
alle Sorgen aufzubürden. Sie war entschlossen, sobald es sich machen ließe,
eine Musikschule zu gründen. Wenn er sie noch lange allein ließe, hier in
Wien; wenn er bald käme sie holen, dort, wo sie mit ihm zu Hause sein
würde. Und wenn sie einmal auf eigenen Füßen stände, dann wollte sie auch
ihr Kind zu sich nehmen, ob sie nun seine Frau wäre oder nicht. Sie wäre weit
davon entfernt sich zu schämen, das wüßte er wohl. Sie wäre eher stolz… ja
stolz, daß sie Mutter wurde!
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik