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»Im ersten Plan«, bemerkte Georg mißgelaunt, »sollte es mit einer Art
Begnadigung enden. Aber sowas ist wohl nur für eine Oper gut genug. Jetzt,
als Tragödienheld wird er natürlich wirklich ins Meer hinuntergestürzt
werden, Ihr Ägidius.«
Heinrich hob den Zeigefinger geheimnisvoll empor, und seine Züge
belebten sich wieder. »Ich glaube, mir dämmert was. Aber sprechen wir
vorläufig nicht davon, wenn ich bitten darf. Es ist doch vielleicht gut
gewesen, daß ich den Anfang erzählt habe.«
»Wenn Sie aber glauben, daß ich Ihnen eine Zwischenaktmusik machen
werde«, sagte Georg ohne besondre Kraft, »so täuschen Sie sich.«
Heinrich lächelte schuldbewußt gleichgültig, und die gute Stimmung war
dahin. Anna fühlte mit Mißbehagen, daß die ganze Geschichte verpufft war.
Georg war unsicher, ob er sich ärgern sollte, daß seine Hoffnung ins Wanken
gekommen, oder sich freuen, daß er einer Art Verpflichtung ledig geworden
war. Heinrich aber war zumute, als verließen ihn seine eigenen Gestalten in
schattenhafter Verwirrung, höhnisch, ohne Abschied und ohne das
Versprechen wiederzukommen. Er fand sich allein, verlassen, in einem
traurigen Garten, in Gesellschaft eines liebenswürdigen guten Bekannten und
einer jungen Dame, die ihn gar nichts anging. Er mußte mit einemmal an ein
Geschöpf denken, das zu dieser Stunde mit rotgeweinten Augen hoffnungslos
in einem schlecht beleuchteten Kupee dunkeln Bergen entgegenfuhr, in Sorge,
ob sie morgen früh rechtzeitig zur Probe erscheinen würde. Nun fühlte er es
wieder: seit das zu Ende war, ging es abwärts mit ihm. Nichts hatte er mehr
und niemanden. Das Leid jener kläglichen und in Qual gehaßten Person war
sein einziger Besitz. Und wer weiß, morgen schon, mit den rotgeweinten
Augen lächelte sie einen andern an, noch immer Schmerz und Sehnsucht in
der Seele und doch schon neue Lebenslust im Blut.
Frau Golowski war auf der Veranda erschienen, etwas verspätet und eilig,
noch mit Hut und Schirm. Sie brachte Grüße aus der Stadt von Therese, die
Anna nächster Tage wieder einen Besuch abstatten wollte. Georg, der an
einem Holzpfeiler der Veranda lehnte, wandte sich an Frau Golowski mit der
absichtlichen Höflichkeit, die er ihr gegenüber stets zur Schau trug. »Wollen
Sie nicht Fräulein Therese in unserm Namen fragen, ob sie nicht einmal ein
paar Tage heraußen wohnen möchte? Die Mansarde oben ist vollkommen zu
ihrer Verfügung. Ich gehe nämlich demnächst auf kurze Zeit ins Gebirge«,
setzte er hinzu, als wenn er sonst das kleine Zimmer oben regelmäßig
bewohnte.
Frau Golowski dankte. Sie wollte es Therese bestellen. Georg sah nach der
Uhr und fand, daß es Zeit war, sich auf den Heimweg zu machen. Dann
verabschiedete er sich mit Heinrich. Anna begleitete beide bis zur Gartentür,
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik