Seite - 211 - in Der Weg ins Freie
Bild der Seite - 211 -
Text der Seite - 211 -
Am offenen Fenster seines Schlafzimmers stand Georg noch eine ganze
Weile überwach. Er dachte an Anna, von der er morgen für wenige Tage nur
Abschied nehmen sollte, und sah sie vor sich, so wie sie in dieser Stunde im
blassen Dämmerlicht zwischen Mond und Morgen auf dem Land draußen in
ihrem Bette schlummern mochte. Aber es war ihm in dumpfer Weise, als
stände diese Erscheinung nicht mit seinem Schicksal in Zusammenhang,
sondern irgendwie mit dem eines Unbekannten, der selbst noch nichts davon
wußte. – Und daß in jenem schlummernden Wesen ein anderes noch tiefer
und geheimnisvoller schlief, und daß dies andre sein Kind sein sollte, das
vermochte er gar nicht zu fassen. Jetzt, da die Nüchternheit der Frühe beinahe
schmerzlich durch seine Sinne schlich, ward ihm das ganze Erlebnis fern und
unwahrscheinlich wie noch nie. Immer hellerer Schein zeigte sich über
Dächern und Türmen, aber die Stadt war noch lange nicht erwacht. Ganz
regungslos lag die Luft. Von den Bäumen drüben aus dem Park kam kein
Wehen, kein Duft von den verblühten Beeten. Und Georg stand am Fenster;
glücklos und ohne Begreifen.
211
zurück zum
Buch Der Weg ins Freie"
Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik