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durch den taufeuchten Wald nach Gmunden gefahren waren. »Sie müssen
nicht schaffen, um zu sein, was Sie sind –! Sie brauchen nicht die Arbeit; –
nur die Atmosphäre Ihrer Kunst… « Gleich darauf erinnerte er sich des
Abends in dem Forsthaus am Almsee, wo ein Jäger von siebenunddreißig
Jahren lustige Liedeln gesungen und Heinrich sich gewundert hatte, daß einer
in diesem Alter noch so lustig war, da man sich dem Tod doch schon so nahe
fühlen müßte. Dann hatten sie sich in einem Riesensaal zu Bett gelegt, wo die
Worte widerhallten, lange noch über Leben und Tod philosophiert und waren
plötzlich in Schlaf gesunken. Am Morgen darauf, unter kühler Bergessonne
hatten sie voneinander Abschied genommen.
Noch immer lag Georg regungslos ausgestreckt in den Plaid gehüllt und
überlegte, ob er von seiner Begegnung mit der Schauspielerin Heinrich etwas
erzählen sollte. Wie blaß sie geworden war, als sie ihn plötzlich erblickt hatte!
Mit herumirrenden Augen hatte sie seinem Bericht von der gemeinsamen
Radpartie zugehört, dann ohne weitern Übergang von ihrer Mutter zu
erzählen begonnen und von dem kleinen Bruder, der so wunderschön
zeichnen könnte. Und die Kollegen hatten von der Bühnentür immer
hergestarrt, besonders einer mit einem Lodenhut, auf dem ein Gemsbart
steckte. Und am selben Abend hatte Georg sie in einer französischen Posse
spielen gesehen und sich gefragt, ob die hübsche Person, die da unten auf der
Bühne des kleinen Sommertheaters so unbändig umheragierte, in Wirklichkeit
so verzweifelt sein könnte, wie Heinrich sich’s einbildete. Nicht nur ihm,
auch James und Sissy hatte sie gut gefallen. Was war das für ein lustiger
Abend gewesen! Und das Souper nach dem Theater mit James, Sissy, der
Mama Wyner und Willy Eißler! Und am nächsten Morgen die Fahrt im
Viererzug des alten Baron Löwenstein, der selbst kutschierte! In weniger als
einer Stunde waren sie am See gewesen. Ein Kahn trieb am Ufer hin im
Frühsonnenschein, und auf der Ruderbank saß die geliebte Frau, den
grünseidenen Schal um die Schultern. Wie kam es nur, daß auch Sissy gleich
die Beziehung zwischen ihm und ihr geahnt hatte? Und das heitere Diner
dann, oben im Auhof bei Ehrenbergs! Georg hatte seinen Platz zwischen Else
und Sissy, und Willy erzählte eine komische Geschichte nach der andern. Und
dann, am Nachmittag ohne Verabredung, während die andern alle ruhten,
unter der dunkelgrünen Schwüle des Parks, im warmen Duft von Moos und
Tannen, hatten Georg und Sissy sich gefunden, zu einer wunderbaren Stunde,
die ohne Schwüre der Treue und ohne Schauer der Erfüllung, leicht wie ein
Traum durch diesen Tag geschwebt war. Wie möcht ich ihn Augenblick für
Augenblick durchdenken und durchkosten, diesen goldnen Tag. Ich seh uns
beide, Sissy und mich, wie wir über die Wiese hinunter spaziert sind zum
Tennisplatz, Hand in Hand. Ich glaube, ich hab auch besser gespielt als je. –
Und ich sehe Sissy wieder, im Strohsessel liegend, die Zigarette zwischen den
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik